- 96 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Beim Aufbau der Städte nach dem zweiten Weltkrieg wurden wieder Konzerthäuser gebaut. Einige sind imposant, wie die Philharmonie in Berlin oder die Liederhalle in Stuttgart. Die Mehrzahl heißt aber jetzt Stadthalle oder Schützenhalle oder Bürgerhaus. Dahinter verbirgt sich ein Mehrzweckgebäude für Konzerte und Volksfeste, manchmal mit eingebauter Turnhalle; denn es muß unterschiedlichen Veranstaltungen dienen. Zur bürgerlichen Kultur gehörte nicht nur die Musik, aber sie war der wichtigste Träger geselligen und gesellschaftlichen Lebens. Da gibt es Gesangvereine, Männerchöre, Oratorienchöre, Kirchenchöre / Kantoreien, Posaunenchöre, Singkreise, Musikkapellen (Bigbands) der Feuerwehr / der Polizei / der Industriewerke, Kinderchöre, Gitarren- und Mandoli­nenorchester, Akkordeonorchester. In Bayern und Österreich sind Trachten-Musikkapellen kultureller Mittelpunkt des Ortes. Volksschulen und Gymnasien hatten selbstverständlich Spielkreise und Schulchöre, Gymnasien nicht selten Schulorchester auf beachtlichem Niveau. Der Musikunterricht von Privatlehrern ist der Vorläufer der heutigen Musikschulen. Wir sollten auch die Streichquartette sowie das Singen und Musizieren am Klavier in Bürgerhäusern nicht vergessen und das Musikmachen mit Berufskollegen, wie zum Beispiel im Kinderarztorchester der Universität Münster.


Das Singen und Musizieren zu Hause, in der Schule und im Verein waren die wichtigste Voraussetzung für das Interesse an Sinfoniekonzerten und Opern. Typisch für diese Musikkultur ist: Der Mensch nimmt handelnd und interessiert teil an der Musik in seinem Lebensraum. Da lernt er ohne Anleitung, wie man „große Musik“ hören kann.


Diesen Mutterboden der Musikkultur gibt es, wie wir alle wissen, immer seltener. An die Stelle der bürgerlichen Kultur ist die Medien-, Genuß- und Konsumgesellschaft getreten. In ihr gelten andere Mechanismen. Ein Mechanismus der Mediengesellschaft ist: Die jeweils vorherrschende öffentliche Meinung (niemand weiß genau, wer die Meinungsmacher sind und wie Hitparaden entstehen) bestimmt, welche Musik „in“ ist. Aber sie genügt, damit Eltern anspruchsvollen Musikunterricht kritisieren können. Sie ermuntert die Verkäuferin im Spielwarengeschäft, der Oma zu sagen: „Dieses ist die neueste CD für Kids. Die schenkt man heute zum Kindergeburtstag.“ Sie beherrscht den Gruppendruck auf Jugendliche, die selbständig sein möchten: „Was, noch nicht gehört?“


Ein Mechanismus der Verbrauchergesellschaft heißt: So schön (toll) wolltest du schon immer sein. Die Werbung über den Star bestimmt die Musikart, die der Mensch liebt. Auch die Mega-Klassik-Werbung bedient sich inzwischen dieser Methoden. Eine international bekannte Geigerin hockt rotgewandet im Waldesgrün mit freien Schultern und wogendem Haar. „Rostropowitsch – der Cellist des Jahrhunderts“. Auch die Klassik-Werber halten es für unwichtig, welches Cellokonzert er spielt.



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