- 95 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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nicht um ihrer selbst willen. Wir studieren Musikgeschichte, um unsere gegenwärtige Situation zu verstehen und zu gestalten. Die Musikwissenschaft müßte eine interpretierende Wissenschaft sein statt einer, die sammelt und subsumiert. Dazu bedarf es auch an Musikhochschulen philosophischer, geistesgeschichtlicher und anthropologischer Studien.


Die Anmerkungen zu den sechs Aspekten wollten deutlich machen: Die Ausbildung von Musikern und die durch sie bestimmte Musikkultur ist beinahe ausschließlich am Musikkunstwerk und an der Befindlichkeit von Berufsmusikern orientiert. Das Interesse oder Desinteresse der Hörer, das über die Existenz oder Nichtexistenz von Orchestern und Opernhäusern letztlich entscheidet, ist kaum im Blick. Eine deutsche bzw. europäische Musikkultur, deren aus dem 19. Jahrhundert stammende Profile immer nebulöser werden, wird ungerührt von Veränderungen vorausgesetzt. Erschreckt stellt man fest, daß es immer weniger Politiker und Ministerialbeamte gibt, denen eine Begründung von Musikkultur mit entsprechender Sicherung von Stellenplänen und Sachmitteln an Hochschulen einsichtig zu machen ist. Heftig wird über Mäzenatentum und Sponsoring diskutiert. Die Kernfrage der gegenwärtigen Krise aber wird verdrängt: Wie steht es um den heutigen Musikhörer? Seit dem 19. Jahrhundert waren Musikveranstalter und Musiker nicht genötigt, um ihr Publikum zu werben. Sie haben nicht gelernt, sich um ihrer Hörer zu kümmern, denn es gab gesellschaftliche Konstanten, die die Musikkultur trugen. Diese zerbröckeln. Das Lebensgefühl, die Musikinteressen und das eigene Musikmachen derer, die Konzerte besuchten, hat sich in den letzten Jahrzehnten radikal verändert.



Der Musiker und sein Publikum


Das Bürgertum als Träger der Musikkultur


Seit zweihundert Jahren war das Bürgertum der Träger der Musikkultur. In Konzerten und Opern drückt es sein Selbstverständnis aus, erlebt es sich selbst, stellt es sich dar. Schon an der Größe und Ausstattung bürgerlicher Konzert- und Opernhäuser kann man nicht nur die „spätromantische“ Orchestergröße, sondern auch das kulturelle Selbstbewußtsein der Bürger ablesen, denken Sie zum Beispiel an den Großen Musikvereinssaal in Wien oder an das Concertgebouw in Amsterdam und an die prunkvollen Opernhäuser aus dem 19. Jahrhundert.


In solchen Häusern ist auch Platz, um sich lange vor dem Konzertbeginn zu treffen, ein wenig zu speisen und zu trinken und zu plaudern, übrigens auch mit den Künstlern. Das Konzert, die Oper interessieren nicht nur wegen des Werkes und der künstlerischen Leistungen, sondern ebenso als gesellschaftliches Ereignis.



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