extrem unterschiedlich. Ein Beispiel aus einer Lokalredaktion: „Wer
immer schon wissen wollte, was eigentlich in einer Spielzeugschachtel
vor sich geht, wenn man gerade nicht hineinschaut, der war beim
zweiten Kinderkonzert des Philharmonischen Orchesters Lübeck
genau richtig aufgehoben. Denn, wer hätte gedacht, daß die
Puppen und Spielfiguren nachts zu tanzen beginnen, daß sich in
einem Puppenkarton Liebestragödien abspielen, wie in Claude
Debussys Ballett ‚Die Spielzeugschachtel‘? Mit viel
Fantasie und Liebe zum Detail hatte sich die Ballettschule [...] des
französischen Komponisten angenommen. Die tänzerischen
Leistungen der sehr jungen Ballerina verdienen Respekt und nähren
die Hoffnung auf ähnliche Ballettdarbietungen für die
Zukunft“. – Der Lokalredakteur beschreibt das
phantasievolle Zentrum der Musik Debussys einfühlsam. Er weiß
sonst aber nichts von der Musik. Entsprechend bemerkt er nicht die
Leistungen des Orchesters, das parallel zu den Tanzbewegungen optisch
wahrnehmbar auf der Bühne spielte. Er berichtet nicht über
die Hör-Wege, die der Moderator, das Orchester und der Dirigent
in Zusammenspiel mit den Ballettkindern und der Ballettleiterin
gingen, nichts über die Reaktionen des Publikums und über
die Konzert-Atmosphäre. Der Lokalredakteur weiß wenig von
der vielschichtigen (und zerbrechlichen) Musikkultur in seiner Stadt.
Das extreme Gegenstück markieren Rezensionen von Konzerten und Opernaufführungen in überregionalen Zeitungen. Ihr Feuilleton bietet Platz für ausgedehnte Texte. Da kann es geschehen, daß man zwei Spalten Texte durcharbeiten muß über das Phänomen „zwei Seelen in der Brust“ in der deutschen Geistesgeschichte, über das dualistische Prinzip in der Musik mit „männlichem Hauptthema“ und „weiblichem Seitenthema“ im Sonatenhauptsatz, über Robert Schumanns Selbstmystifikation zum Davidsbund, über den aggressiven Charakter des Florestan und den „introvertierten lyrisch-weichen Eusebius“. Erst ab Spalte drei erfährt der immer noch interessierte Leser, daß da ein Konzert war mit Maurizio Pollini, der Schumann spielte. – In anderen Fällen wundert man sich über den prallen Zettelkasten des Rezensenten, mit dessen Hilfe er den Leser über Konzerte, Darbietungen, Inszenierungen derselben Künstler im zurückliegenden Jahrzehnt an anderen Orten informiert. Offensichtlich soll über „Entwicklungen“ in der europäischen Musikkultur berichtet werden. Ich bekenne: Die meisten Entwicklungen erkenne ich als Leser nicht, zumal ich ja bei früheren Aufführungen nicht dabei sein konnte.
Ich frage: Welche Bedeutung hat Musik-Berichterstattung dieser Art für das heutige Musikleben? Wie viele Zeitgenossen haben Interesse, sie zu lesen? Wem dienen sie? Dieselben Fragen sind an Konzertprogramme und Opernhefte zu richten, die fleißige Musikwissenschaftler auf Glanzpapier produzieren. Dort findet man Arbeiten, die in einem musikwissenschaftlichen Oberseminar hohes Lob verdient hätten. Der Konzert- und Opernbesucher aber kauft sie kurz vor dem Konzert- oder Opernbeginn. Ich habe keine Zeit, die gescheiten Ausführungen zu lesen. Manchmal beobachte ich Menschen, die während des Konzerts |