- 88 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Wasser.“ Die Musik ist – unlösbar? – mit den inneren Vorstellungen des Fernsehzuschauers verknüpft. Sie wird als Mittel zu anderen Zwecken gebraucht: Musik im Gasthaus, Musik beim Einkaufen, Musik bei der Autofahrt, Musik im Erlebnisschwimmbad, Musik als Warm-up-Effekt bei Fußballspielen und auf Parteitagen, Musik zur Beruhigung im Flugzeug. Jeder kann die Reihe des Fremdgebrauchs von Musik nach Belieben fortsetzen. Nirgendwo erlebt der Mensch heute Musik an sich. Heranwachsende sind nicht gewohnt, auf Musik um ihrer selbst willen zu hören. Die Ausnahmen sind der Konzertsaal, das bewußte Musikhören mit Hilfe von Tonträgern zu Hause und im Musikunterricht – falls er stattfindet. Aber: Wie viele Mitbürger besuchen Konzerte? Wer weiß aufgrund seiner Lebensgeschichte, daß man in Musik Neues für Geist und Gemüt entdecken kann? Die Mehrzahl unserer Zeitgenossen kann bei bestem Willen mit „Musik an sich“ nichts anfangen.


Es ist keine Tragik, daß die ästhetischen Ideale des 19. Jahrhunderts nicht mehr gelten. Im Gegenteil! Die allseitige Verfügbarkeit von „verbundener Musik“ gibt uns die Chance, im Zusammenhang ihrer Funktionen und Wirkungen zu fragen: Wie kommt es, daß mich diese Musik beeindruckt, an etwas erinnert, interessiert? Es muß doch an ihrer „Machart“ liegen. Wer so fragen lernt, trifft nicht nur auf Musik als „soziale Tatsache“. Er entdeckt, wenn er konsequent fragt, Strukturen von Musik. Ein solcher Prozeß von der programmatischen Bedeutung von Musik hin zu ihren Gesetzmäßigkeiten hat eine Voraussetzung: Man muß Interesse an Musik haben und sie nicht nur als Beiwerk benutzen. Hier liegt die gegenwärtige und zukünftige Aufgabe: In welcher Weise können wir Musik produzieren und vermitteln, so daß sie für möglichst viele Mitbürger interessant wird?



Dritter Aspekt: Das musikalisch Ganze und die Elemente


Das Musiklernen in Schule und Hochschule ist belastet durch die Elementenpsychologie. Danach befaßt man sich zuerst mit den Elementen und dann mit dem Ganzen. Am besten läßt sich diese Auffassung an der synthetischen Erstlesemethode beobachten. Der Erstkläßler lernt zuerst Buchstaben als Symbole für Laute. Etwas Ähnliches kommt sonst in seinem Leben nicht vor. Zu Hause sagt er – mit persönlicher Lautfärbung – „Mutter“. In der Schule muß er lernen, die Buchstaben M-u-t-t-e-r und die Laute, die sie bedeuten, so zusammenzuziehen, bis sich der Aha-Effekt einstellt: Meine Mutter ist gemeint.


Denselben wirklichkeitsfremden Weg gibt es beim Musiklernen, wenn der Schüler die einzelnen Töne nach den Notenzeichen so lange spielen muß, bis er den „Sinn“, ihre musikalische Gestalt, wahrnimmt.



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