- 72 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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gepaart mit männlicher Kraft und welche Liebe!! Ich lebe ganz jetzt unter der Wucht dieses Reichthums, und ein Glück, daß ich durch meine Thätigkeit oft heraus gerissen werde, ich hielte es sonst gewiß nicht ohne Nachtheil für meine Gesundheit aus. Unbeschreiblich erwecken diese Briefe meine Sehnsucht und die Herzenswunde blutet frisch. Was habe ich besessen und was verloren!10
10 Litzmann, a. a. O. (s. Anm. 5), Bd. 3, S. 458.


Die Fokussierung auf die Vergangenheit wurde zu einem nicht geringen Teil auch durch das kühl gewordene Verhältnis zu Johannes Brahms befördert. Im Zusammenhang mit der geplanten kritischen Gesamtausgabe sowie der Instruktiven Ausgabe der Schumannschen Klavierwerke bei Breitkopf und Härtel kamen derartige Spannungen auf, daß bereits in den Jahren 1891/92 die gemeinsame Freundschaft bedroht erschien.11

11 Reich, a. a. O. (s. Anm. 7), S. 336–339.

Im Oktober 1891 gab es Streit vor allem wegen der Herausgabe der 4. Sinfonie, die ohne spezielle Zustimmung Claras zustande kam. Nach Litzmann12
12 Litzmann, a. a. O. (s. Anm. 5), Bd. 3, S. 546–563, Zitat S. 559.

war Clara so verärgert, daß sie bis September 1892 nicht mehr an Brahms schrieb,13
13 Zum Verhältnis von Clara Schumann zu Johannes Brahms vgl. Reich, a. a. O., S. 241–270.

worauf sich Brahms am 13. September 1892 bei Clara beklagte:


Es ist hart, nach vierzigjährigem treuen Dienst (oder wie Du mein Verhältniß zu Dir nennen magst) nichts weiter zu sein als eine ‚schlechte Erfahrung mehr‘. Nun, das will getragen sein...


Brahms lag sehr daran, zu wiederholen, „daß Du und Dein Mann mir die schönste Erfahrung meines Lebens sind, seinen größten Reichthum und edelsten Inhalt bedeuten.“ Claras Zorn mäßigte sich daraufhin ein wenig. In ihr Tagebuch notierte sie allerdings noch im November 1892 im Zusammenhang mit Klavierstücken von Brahms, sie vergesse beim Spielen das viele Leid, „das er einem zugefügt“, und am 31. Januar 1893 schrieb sie in ihr Tagebuch:14

14 Litzmann, a. a. O. (s. Anm. 5), Bd. 3, S. 563 u. 566.


Brahms kommt heute. Wie ist mir bange ums Herz! Könnte man sich über all die Vorgängnisse der letzt vergangenen Jahre, die mich so betrübt haben, aussprechen, aber das ist ja unmöglich mit ihm, er wird gleich so heftig, daß man verstimmt.


Nach Litzmann sendete ihr Brahms daraufhin das es-Moll-Intermezzo op. 118, Nr 6.15

15 A. a. O., Bd. 3, S. 570 f. – Im Zusammenhang mit der in diesem Aufsatz vertretenen Argumentation ist darauf hinzuweisen, daß dieses Intermezzo – es ist in es-Moll komponiert, wie auch das Intermezzo in Robert Schumanns Faschingsschwank – ähnlich wie die zur Diskussion stehenden Romanzen symbolisch für den Zustand einer Beziehung zu stehen scheint. Das Hauptthema ist kleinschrittig konzipiert, vom Terzrahmen bestimmt und endet auf einer schweren Seufzerfigur. Brahms schreibt Clara Schumann im Mai 1893: „Das kleine Stück ist ausnehmend melancholisch.“ „Es wimmelt von Dissonanzen! Diese mögen recht sein und zu erklären – aber sie schmecken Dir vielleicht nicht...“ „Jeder Tact und jede Note muß wie ritard. klingen, als ob man Melancholie aus jeder einzelnen saugen wolle, mit Wollust und Behagen aus besagten Dissonanzen!“ (a. a. O.)



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