- 424 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (423)Nächste Seite (425) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Mit der angesprochenen Konsolidierung der Machtverhältnisse konnte sich auch die imperialistische Politik der Militärs und des Kaisers offen artikulieren. Lemmermann beschreibt in seiner umfassenden Studie Kriegserziehung im Kaiserreich (Lemmermann 1984), wie unverblümt der Kaiser seine Anliegen vortrug und für seine Agressionen gegen Sozialdemokratie und Nachbarländer den Tribut seiner Untertanen einforderte. Bildungseinrichtungen und hierbei in besonderer Weise die Volksschullehrer, zuvor noch beschuldigt, wurden nun besonders angesprochen. Herausragende Pädagogen, deren nationalistisches Bewußtsein mit der monarchischen Weltanschauung weitgehend übereinstimmte, griffen die kaiserlichen Postulate willfährig auf. Sie beeinflußten in ihrer Funktion als Multiplikatoren die latent vorhandene, jedoch überwiegende Mentalität des Volkes, so daß der Historiker Fritz Fischer gut begründet konstatieren kann: „Hitler war kein Betriebsunfall“ (Fischer 1992).


Der traditionsgemäß in Anspruch genommene Gesangunterricht wurde erneut und nun verstärkt in den Dienst nationaler Erziehung gestellt; mit dem „patriotischen Lied“ sollte Bewußtsein für die angestrebten imperialistischen Zielsetzungen mobilisiert werden. Lemmermann beschreibt diesen „politischen Bedingungszusammenhang“ von politischer Deklaration, modischer Kreation und Konzertwesen am Beispiel des verstärkten Ausbaus der Kriegsmarine und den damit verbundenen nötigen wirtschaftlichen Anstrengungen (Lemmermann 1984, S. 223).


Doch waren solche auf den Gesangunterricht gerichteten Intentionen dem Zwiespalt ausgesetzt, einerseits am Lied das Tonbewußtsein zu entwickeln und Bereiche einer Allgemeinen Musiklehre zu erarbeiten, wie es die zahlreichen methodischen Handreichungen und Stoffverteilungspläne der Zeit forderten (vgl. Anlage 6), andererseits durch das Singen – eventuell des gleichen Liedgutes – auf das Gemüt, Bewußtsein und Verhalten einzuwirken. Die Distanz, die sich durch einen musiktheoretischen Umgang mit Liedern nahezu zwangsläufig einstellt, behinderte die gemütbildende und erzieherische, nationale Aufgabe, die dem Singen von Liedern zugewiesen war. Dieses „Methodenproblem“, das allerdings eher von grundlegenderer Bedeutung ist (Kramer 1990, S. 86–115, S. 336–370), wurde heftig und kontrovers diskutiert und spiegelt die auf Erneuerung zielenden Bestrebungen der Jahrhundertwende, die den kulturkritischen Stimmungen und Bedrängnissen entgegenwirken und neue – aber nationale – Horizonte eröffnen sollte (Gruhn 1993, S. 161 ff.).


Friedrich Vogler begann 1893 seinen Dienst, zunächst als „Hülfslehrer“, ab 1. April 1896 als Gemeindeschullehrer (siehe Anlage 4) an der 147. Gemeindeschule, einer Mädchenschule im Bezirk Wedding, der erst seit 1861 zur Stadt Berlin gehörte, sich also in seiner Bebauung und Besiedlung noch von den innerstädtischen Bezirken unterschied.



Erste Seite (1) Vorherige Seite (423)Nächste Seite (425) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 424 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik