1872 waren allerdings die Seminare von
den vormals gültigen Beschränkungen der Stiehlschen
Regulative befreit (Blankertz 1982, S. 182). Möglicherweise
wirkte die Stiehlsche Intention nach, eine „Ueberbildung“
der Elementarlehrer zu vermeiden, was bedeutete, im Fächerkanon
des Lehrerseminars alles, was unter Bezeichnungen wie Pädagogik,
Methodik, Didaktik, Katechetik, Grammatik, Literatur, Anthropologie,
Psychologie usw. gelehrt werden konnte, entweder ganz zu streichen
oder doch inhaltlich zur Handwerkslehre zu reduzieren, damit jede Art
von Abstraktion, Systematik oder gar Kritik unterblieb. Es blieb dann
eine Art praktischer Schulkunde, deren Grundsätze in der Bibel
wurzeln sollten und selbstverständlich im Gehorsam gegenüber
der gottgewollten Monarchie. Besonderes Gewicht bekamen folglich der
Religionsunterricht und aus der ungebrochenen Tradition heraus, den
Höchsten und die Allerhöchsten Herrschaften zu besingen und
zu verherrlichen, auch der Gesangunterricht. Die Zeugnisse der
„Seminar=Präparanden=Schule zu Berlin“ und des
„Königl. Seminars für Stadtschullehrer in Berlin“
(vgl. Anlage 2 und 3) weisen allerdings differenzierte Angebote aus,
die weit über beibehaltene besondere Rechte von Stadt-Seminaren
hinausgehen und den neuen Status und „Leistungsstand von
lateinlosen höheren Schulen“ ausweisen (Blankertz 1982, S.
182), eine Berechtigung, die sie 1900 erhielten.
Friedrich Vogler zeigte sich offensichtlich empfänglich gegenüber dem musikalischen Bildungsprogramm seiner Ausbildungsstätte, so daß er hierin eine für ihn förderliche und für sein Leben wichtige Anregung bekam, die über die schulischen Erfordernisse hinausging. Denn die vorgeschriebenen kirchlichen und vaterländischen Lieder beizubringen, brauchte es keiner großen Anstrengung, obgleich auch hierzu gemäß der Stiehlschen Regulative von 1854 „die Maßregel“ galt, „daß aller Unterricht in Präparande und Seminar auf eben die Weise methodisch zu erteilen sei, wie er auch später in der Schule durchgeführt werden müsse,“ was bedeutet, daß „der Unterricht auf dem Wege einer staatlichen Verfügung von vornherein – mindestens in seinem formalen Anspruch – mit dem Gütesiegel der Musterhaftigkeit ausgestattet“ sein soll (vgl. Herrlitz/Hopf/Titze 1993, S. 61 ff.). Kramer verweist in diesem Zusammenhang auf Vermittlungsprinzipien, die der Erfurter Schulrat und Seminardirektor Kehr in seinem vielfach aufgelegten Handbuch Die Praxis der Volksschule unverblümt so formuliert:
Es muß einer da sein, der mir sagt was ich tun und was ich lehren muß und warum und wie ich es so und nicht anders anzufangen habe. Es muß aber auch einer da sein, der mir durch sein Vormachen das Richtige zeigt und unter dessen Anleitung und Aufsicht ich mit Bewußtsein das nachahmen lerne, was er mir als praktischer Lehrer als Vorbild hingestellt hat (zitiert nach Kramer 1990, S. 71).
Kramer zeigt aber auch, daß offensichtlich die Musterlektionen und mit ihnen die Maßregeln selten eingehalten wurden, lediglich den besonderen Anlässen |