- 42 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Diskjockeys der Techno- und Dancefloor-Szene für ihre spontanen Klangmixturen die abgespielten Schallplatten zur Erzielung bestimmter Geräuscheffekte einfach mit den Händen bremsten oder anstießen20
20 Damit eigentlich die schon viel früher ausgesprochenen Forderung von John Cage einlösend, daß man die Schallplatte nicht bloß zum Abspielen von Musik, sondern zum Kreieren neuer Musikstücke einsetzen müsse.

, wurde die Bedeutung des musikalisierten Geräuschs und der ‚kurzatmigen‘ Loops21
21 Vgl. dazu die Ausführungen von Hans Ulrich Humpert, Elektronische Musik – Geschichte, Technik, Komposition, Mainz: Schott 1987, S. 24.

(aus den Anfängen der Musique concrète) auch von der Popmusik entdeckt. Musikstile wie Techno, Dancefloor, Hip­hop, Acid, House, Trance, Ambient usw. leben von übereinandergelegten Klangschichten aus Originalsamples, aus digital repetierten Klangschleifen (Loops) und in Klangbibliotheken gespeicherten Licks, die durchaus eine fast heterogene Komplexität erreichen können, auch wenn lautstark stampfende Drum-Sounds und tiefgründige Synthesizerbässe an der intendierten Dominanz des unüberhörbaren und körperlich fühlbaren Grundrhythmus keinen Zweifel aufkommen lassen.

Sound Sampler können jeden beliebigen Klang speichern und musikalisch verfügbar machen, d. h. beliebige Geräusche, Sprachlaute, Töne usw. können aufgenommen, bearbeitet und mit einem Keyboard in Tonhöhe und Lautstärke gesteuert, gespielt, also musikalisch eingesetzt werden. Schon Ende der 80er Jahre gab es experimentierfreudige Popmusikgruppen, deren Produktionen fast vollständig mit Hilfe von Samplern entstanden, so daß ein irritierend neuer Sound zu hören war.

Zwar genießen Hardware-Instrumente beim Live-Spiel aufgrund ihrer höheren Zuverlässigkeit immer noch eine größere Priorität, aber software-basierte Systeme setzen sich seit neuestem aufgrund ihrer größeren Flexibilität, leichteren Handhabung und bequemen Aktualisierung per Update mehr und mehr durch. Auch computerbegeisterte Musikamateure oder – umgekehrt – musikbegeisterte Computerfans greifen eher zu Sequencer- und neuerdings zu Synthesizer- oder Sampling-Programmen, die vergleichsweise kostengünstig auf jedem Multimedia-Computer22

22 Genauer gesagt: sie laufen prinzipiell auf jedem Multimedia-Computer, denn in der Realität gibt es doch noch zahlreiche Probleme mit Rechentempo und Konfiguration eines Systems.

mit eingebauter Soundkarte und MIDI-Anschluß laufen23
23 Aber die Entwicklungsgeschichte macht auch Sprünge. Zu Anfang der 90er Jahre, als der Techno nach baßgewaltigen Sounds suchte, entdeckte man, daß die alten Analogsynthesizer hier bessere Klangresultate boten als die digitalen Nachkommen. Plötzlich waren alte Modulsynthesizer von Moog, Korg, Roland, sogar der Soundlab – heute eine gefragte Rarität – sehr gesucht, so daß für Gebrauchtgeräte z. T. Preise gezahlt werden, die weit über dem damaligen Neupreis liegen.

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Seitdem Prozessoren und Festplatten schnell genug sind, um Audiodateien zu verarbeiten und zu speichern, werden Programme entwickelt, die den Computer zu einem hochwertigen digitalen Tonbandgerät ohne Magnetband umfunktionieren (Harddisk-Recording). Per Software lassen sich virtuellen Modulsynthesizer mit einer unglaublichen Klangvielfalt aufbauen, die als analoge Instrumente viel zu teuer, zu groß und zu aufwendig gewesen wären. Darüber hinaus werden neue Formen der Klangsynthese eröffnet, wie z. B. das vielversprechende Physical-Modeling. Sound Sampler werden als reine Software-Lösungen angeboten, ältere Synthesizer, erfolgreiche Drum Computer oder Vocoder werden per Software liebevoll emuliert, so daß sogar die Bedienung der simulierten Knöpfe auf der Bildschirmoberfläche dem Vorbild entlehnt ist (virtuelle Synthesizer).


Zu Anfang der 80er Jahre, als der Verfasser dieser Zeilen an die Universität Osnabrück kam, um die apparative Musikpraxis in Forschung und Lehre zu vertreten, wurde die wachsende Bedeutung der Popmusik für die Entwicklung der Musikelektronik resp. die wachsende Bedeutung der Elektronik für die meisten Popmusikstile auch in der Hochschulausbildung stärker berücksichtigt. Die ursprünglich enge Verknüpfung von Elektronik und experimenteller Musik schien zunehmend historische Züge anzunehmen, während die popularen Musikformen vehement mit neuen Soundtechniken experimentierten.


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