- 413 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Umgang mit den großen Heiligen der katholischen Kirche (in ihrem Tagebuch berichtet sie von einem Besuch der St. Antonius-Kirche in Padua, wo sie Fresken betrachtet, die die Wunder des Hl. Antonius darstellen. Ihr Kommentar: „Die Wunder St. Anton’s sind alle ganz besonders poetischer Art. Sobald ich katholisch werde, soll er mein Schutzpatron seyn. Er erweckt verstorbene Gläser und Teller, das ist so gut in der Wirthschaft zu gebrauchen.“15
15Abschrift der Tagebücher meiner Urgroßmutter Fanny Hensel, geb. Mendelssohn-Bartholdy (unveröffentlicht), Staatsbibliothek Berlin, Mendelssohn-Archiv, S. 59.

) entwickelt Fanny das Selbstbewußtsein ihres protestantischen Glaubens.


Der Choral, der für Fanny wesentliches Moment der musikalischen Sozialisation war, wird für sie zum Medium persönlicher, kultureller und nationaler Identitätsfindung. Ihr Traditionsbewußtsein, das sich in der Hinwendung zum aufkommenden Historismus äußert, wird durch die Zusammenarbeit mit Zelter entscheidend entwickelt und gefestigt. In der Bachtradition aufzuwachsen, hieß auch, in Choraltradition aufwachsen, bedeutete den praktischen Umgang mit Chorälen, der sich im Ausharmonisieren von Choralsätzen bis ins 20. Jahrhundert als wesentliches Merkmal musiktheoretischen Unterrichts erhalten hat. Darüberhinaus hat Fanny auch die Musikphilosophie Zelters, für den Musik Grundlage einer moralisch-ethischen Erziehung darstellte, verinnerlicht.


Der Beginn der 1830er Jahre, der für Felix zwischen Jugend und Reifezeit eine Spanne der Unsicherheit in kompositorischen Fragen mit sich brachte, war auch für Fanny eine Zeit der Krise in ihrem Schaffen. Ausgelöst durch das Bewußtsein der zunehmenden Subjektivierung ihrer Musik, sah sie sich in der Ambivalenz von strenger Bindung an Tradition und ihrer Begeisterung für die lyrisch-expressive zeitgenössische Musik, vor allem für das Lied und die Oper. Die Bindung an die Ethik der Bachschen Musik, die für die Mendelssohn-Geschwister


nicht einfach ein kostenloses ästhetisches Erbe, in dem eine vergangene Welt metaphysischer Sicherheit und rationaler Ordnung [war], sondern als eine Art von prophetischer Essenz die Grundlagen eines neuen national-ethischen Gewissens [enthielt],


schließt den Choral als Vermittler der göttlichen Idee auch außerhalb der Repräsentanz des göttlichen Wortes im allgemein kulturellen gesellschaftlichen Kontext ein.16

16 John E. Toews, Fanny Mendelssohn. Die Bedeutung des Chorals in ‚Das Jahr‘, in: viva voce, S. 22.

So wird sowohl der ethische Anspruch als auch der Subjektivierungsprozeß im Choral und in ihren geistlichen Werken überhaupt für Fanny zu einem Problem ihres künstlerischen Standpunktes.


Ich kann allerdings der Interpretation John E. Toews nur partiell zustimmen, der in der Choralzitation im Klavierzyklus Das Jahr lediglich Fannys Versuch einer


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