- 410 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Die Einflüsse opernästhetischer Provenienz in Fannys Werken basieren nicht nur auf ihrer Kenntnis barocker Vorläufer und zeitgenössischer Oratorienkompositionen. Ihre Tagebuchaufzeichnungen verraten, daß sie auch mit dem Opernrepertoire der Vergangenheit und mit dem ihrer Zeit vertraut war. Sie kannte viele Opern Glucks und Händels, hatte Mozart-Opern gehört, C. M. von Weber oder Aubers Die Stumme von Portici. In ihren ‚Sonntagsmusiken‘ wurden wiederholt Openarien und Opernszenen aufgeführt, deren Proben sie leitete oder zumindest an ihnen teilnahm.


Das Oratorium nach Bildern der Bibel, eigentlich Musik für die Toten der Cholera-Epidemie 1831 (sie trägt im Partitur-Autograph keine eigene Benennung; in einem Teilautograph in der Bodleian Library in Oxford die Notiz: Cantate (nach Aufhören der Cholera, 1831) genannt, ist eine Gedenkmusik für die Opfer der Seuche, die 1831 in Berlin grassierte und deren Opfer neben Fannys Tante Henriette auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel war. Aus einer Tagebuchnotiz vom 1. Januar 1832 wissen wir, daß die Choleramusik an ihres Vaters Geburtstag aufgeführt wurde.


Die Komposition legt die Frage nach dem Leiden unschuldiger Menschen, also die Kernfrage Hiobs offen; die Texte des ersten Teils der Choleramusik spiegeln diese Frage wider, etwa in den Worten der Wehklage über den richtenden Gott. Klage, Trauer (vgl. Chor mit dem protestantischen Choral von Johann Rist: „O Traurigkeit, o Herzeleid“) und das Bekenntnis menschlicher Ohnmacht (in der Tenorarie: „Ich bin elend und ohnmächtig ...“) mischen sich mit Hoffnung – durch die Ankündigung der Gnade Gottes (Sopran-Rezitativ: „Er wird dich mit seinen Fittichen decken“), mit der Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes (Trauerchor), mit dem Glauben an die Auferstehung und die Überwindung der Sünde (Chor der Seligen). Nach dem Sündenbekenntnis (Chor: „Wir leiden um unsrer Sünde willen ...“) und der Bußfertigkeit wird die Hoffnung auf Vergebung zur Glaubenssicherheit; zur Gewißheit von Erlösung, Frieden und Gnade. Der daraus gewonnene Trost (Rezitativ: „Tröstet mein Volk!“) mündet in den Lobpreis Gottes mit den Worten des Schlußchors: „Singet Gott! Frohlocket mit Pauken ...“


Die Überzeugung von der Überwindung des Todes durch Vergebung, Gnade, Erlösung und die daraus resultierende Preisung Gottes wird in der Choleramusik in den Rezitativen als zusammenhängender und durchgängiger Gedankenstrang erkennbar. Den ersten drei Rezitativen mit den Texten: „... daß er richte sein Volk“, „... aber er antwortet ihnen nicht“ und „Plötzlich muß das Volk sterben“ stehen die beiden letzten gegenüber mit den tröstenden Worten: „Er wird dich mit seinen Fittichen decken“ und „Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen“.



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