- 409 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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und sogar eine Konzeption für Finanzierung und Organisation solcher Vereine entwickelt.


Auch im Hiob und offenkundiger noch in den beiden anderen Werken Fannys sind solche musikdramatischen und -dramaturgischen Konzeptionen zu erkennen als auch opernästhetische Einflüsse, die sich auf Gestus, Stil und Melodik von Arien und Chören beziehen.

In den Nummern 4 (Sopran-Arie) und Nr. 5 Schlußchor im Lobgesang verwendet Fanny Text und Melodie des protestantischen Chorals: „O daß ich tausend Zungen hätte“; in der Arie nimmt sie die ersten vier Verse des Chorals als Textgrundlage und beginnt sie mit dem variierten Anfangsmotiv der Choralmelodie, die sie dann im Verlauf der Komposition frei weiterspinnt. Der Schlußchor greift textlich den fünften Vers auf, ebenso die vollständige Choralmelodie, die im Alt zunächst als c. f. zu der kontrapunktischen Verarbeitung von Melodie­­fragmenten in den übrigen Stimmen geführt wird; dann greift Fanny wiederum die dritte und vierte Verszeile auf und gestaltet sie – mit der variierten Melodie der Schlußzeile des Chorals – in einem homophonen Satz und beendet den gesamten Chorsatz, indem sie die letzten beiden Melodiezeilen zum Inhalt einer kontrapunktischen Verarbeitung macht. Dieser fantasievolle Wechsel der Funktionen der Choralmotive (c. f. zu sein und als Material der kontrapunktischen Imitation zu dienen), ebenso der Wechsel der Satztechniken (ein homophoner Satzteil wird von zwei kontrapunktischen eingeschlossen) ist ebenso ungewöhnlich wie originell.


Ungewöhnlich ist auch, daß Fanny einen Choraltext für eine Arie verwendet, ihn also aus seinem ursprünglichen – semantischen und sprachrhythmischen – Kontext herausnimmt und ihn frei behandelt. Außerdem fällt die Arie ganz offensichtlich aus der Gebundenheit an die strenge Arientechnik der barocken Kantate heraus. Fanny löst sich hier vom streng kontrapunktischen Satz, gestaltet die Instrumentalbegleitung eher als affektiven Ausdruck der Grundstimmung und Ausdeutung des Textes (vgl. die Instrumentalbegleitung zur Textstelle: „verherrlicht Gott durch seine Zier“, Partitur S. 33) und gibt der Melodie Merkmale (etwa durch Verwendung von Chromatik an exponierter Stelle oder durch die Vorhalte auf betonter Taktzeit), die an Mozartsche Arienkompositionen anklingen. Dieses und die Leichtigkeit und fröhliche Helligkeit, die die Arie ausstrahlt, verleiht dem Stück einen eminent subjektiven Charakter.


Ein zweites – fast noch eindrücklicheres – Beispiel finden wir in dem Oratorium. Die Tenorarie „Ich bin elend und ohnmächtig“ (Partitur S. 31 ff.), Ausdruck verzweifelten Schmerzes, hat mit der höchst leidenschaftlich geführten Melodie, mit ihrem hervorragenden Seufzermotiv in der Begleitung und dem Verzicht auf deren kontrapunktische Durcharbeitung durchaus den Charakter einer fast romatisch anmutenden Opernarie.



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