- 406 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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so ist bemerkenswert, daß er auch an dieser Stelle seine Affinität zu einer ethisch bestimmten Religionsausübung betont, ohne den für ihn sicher ebenso wichtigen Grund, seinen Kindern – trotz der relativ toleranten Emanzipationspolitik im aufgeklärten Preußen (Edikt vom 11. März 1812, unter Hardenberg als Staatskanzler erlassen, das die Juden zu „Einländern und preußischen Staatsbürgern machte“) –, durch die Konversion zum Christentum einen problemloseren Zutritt in die Gesellschaft zu ermöglichen, zu erwähnen. Erst in seinem Brief an Felix nach London im Jahre 1829 bringt er diesen Aspekt ein und bekennt sich – wenn auch eher zwischen den Zeilen – zu der Schwäche seiner Argumentation (Abraham hatte versucht, den eigentlichen Grund der vollzogenen Konversion zu kaschieren).


Bis zu ihrem 11. Lebensjahr, dem Zeitpunkt ihrer Taufe, wird Fanny zwar nicht im orthodoxen Judentum, aber dennoch in jüdischer Tradition erzogen. Das könnte darauf hindeuten, daß Fanny vor allem in ihrer eigenen Familie jene Achtung als Frau erfuhr, die als Gesetz in Thora und Talmud festgeschrieben ist. Danach werden Frauen und Männern verschiedene Rollen zugewiesen, die nicht als ungleich, sondern als unterschiedlich verstanden werden. Das orthodoxe Judentum kennt weder die Gleichberechtigung noch die Ungleichheit der Geschlechter, sondern lediglich deren Verschiedenheit. So begegnen wir im Judentum zwar auch der Benachteiligung der Frau, etwa im öffentlichen Leben oder in dem Ausgeschlossensein aus der Ausübung des Gottesdienstes in der Synagoge; wir begegnen auch dort der bekannten Rollenzuweisung der Frau, den Ehe- und Familienpflichten mit den besonderen Aufgaben der Unterweisung der Kinder in der Religion und der Bewahrung der Familientradition nachzukommen. Wegen des hohen Stellenwertes von Familie und Religionsausübung im orthodoxen Judentum wird das Ansehen der Frau damit aber erheblich gesteigert und ihre Tätigkeit zu einem wesentlichen Bestandteil jüdischen Lebens.10

10 Vgl. Rachel Heuberger, Die Stellung der Frau im Judentum, in: Aus dem Leben jüdischer Frauen, hg. von L. Wagner u. a., Kassel 1994 (= Schriftenreihe des Archivs der deutschen Frauenbewegung; Bd. 9), S. 7 ff.

Aus zahlreichen dokumentierten Ereignissen der Familie Mendelssohn geht hervor, daß Fanny diese Rolle wahrnahm und sich zeitlebens verpflichtet fühlte, in Konflikte ihrer engen und weiteren Familie einzugreifen, um Frieden und Harmonie zu stiften und zu erhalten.


Die für die Hiobskantate ausgewählten Texte: „Was ist ein Mensch? ...“ und „... Leben und Wohltat hast Du an mir getan ...“ sind – entsprechend der Strukturanalyse der Hiobsdichtung von Georg Langenhorst11

11 Vgl. Georg Langenhorst, Hiob. Unser Zeitgenosse, Mainz: Grünewald 1994, S. 30 ff.

– dem Hauptteil, d. h. dem Kernstück der Dichtung entnommen. Sie benennen die Schlüsselstelle, an der Hiob an der Erfahrung des unschuldig Leidenden verzweifelt und den daraus folgenden Denk- und Erkenntnisprozeß einleitet. Die Metamorphose vom Unverständnis über das Leid und die Bestrafung des untadeligen Menschen bis zu

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