- 405 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Ein Weib, wenn sie gebieret, so hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen, wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist. Der Herr hat es ihr gegeben, denn die Liebe ist stark wie der Tod und Eifer ist fest wie die Hölle, ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn.


Der 2. Teil des Textes ist entnommen dem Hohelied Salomos (8, 6) und zwar dem 8. Kapitel, das von der Treue der Liebenden zueinander handelt. Mit der Verknüpfung der beiden Verse aus dem Neuen und dem Alten Testament werden die beiden biblischen Bestimmungen der Frau – treue Gattin und liebende Mutter zu sein – in das Zentrum der gesamten Kantate gerückt.


Die Wahl der Texte, die von einer strahlenden Helligkeit gezeichnete Musik des Lobgesangs, die in den Tagebüchern immer wieder beschriebene Strenge und Gewissenhaftigkeit, mit der Fanny ihre Ehe gestaltet und die häufigen Bemerkungen, daß sie „zufrieden und glücklich sei“ (vgl. die Tagebücher), lassen darauf schließen, daß Fanny sich mit ihrer Entscheidung zur Ehe auch vollkommen und entschieden mit ihrer weiblichen Rolle identifizierte und deren Realisierung ihre volle Übereinstimmung fand.


Wir können den Grund dieser Zustimmung Fannys nur vermuten. Wahrscheinlich hat ihre Erziehung einen prägenden Einfluß auf ihr Denken und Handeln hinterlassen. In dem schon erwähnten Einsegnungsbrief des Vaters werden die religiösen Hintergründe der Erziehung erkennbar: auf dem Boden jüdischer Tradition werden Fanny und ihre Geschwister nach ihrer Konversion zum protestantischen Glauben christlich erzogen. Der Vater sagt es so:


Ob Gott ist? Was Gott sei? Ob ein Teil unseres Selbst ewig sei und, nachdem der andere Teil vergangen, fortlebe? Und wo? Und wie? – Alles das weiß ich nicht und habe Dich deswegen nie etwas darüber gelehrt. Allein ich weiß, daß es in mir und in Dir und in allen Menschen einen ewigen Hang zu allem Guten, Wahren und Rechten und ein Gewissen gibt, welches uns mahnt und leitet, wenn wir uns davon entfernen. Ich weiß es, lebe in diesem Glauben, und er ist meine Religion.7

7 A. a. O., S. 120.


Aus diesem Bekenntnis Abrahams spricht die von der Aufklärung geprägte Religionsphilosophie seines Vaters Moses Mendelssohn, für den Tugend und Moral das Wesentliche der Religion waren, nicht aber die Unterwerfung unter ein Dogma. „Die höchste Stufe der Weisheit ist unstreitig Gutes thun“, so Moses Mendelssohn 1777 in einem Brief an Baron von Ferber.8

8 Moses Mendelssohn, in: Michael A. Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, München: Beck 1994, S. 30.

Wenn Vater Abraham in seinem Einsegnungsbrief nun weiter schreibt:


Wir haben Euch, Dich und Deine Geschwister, im Christentum erzogen, weil es die Glaubensform der meisten gesitteten Menschen ist und nichts enthält, was Euch vom Guten ableitet [...],9

9 Sebastian Hensel, a. a. O. (s. Anm. 6), S. 121.


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