wo da der vielbeschworene
affektive Kick herkommen soll, ist mir schleierhaft.
Handlungsorientierte, interaktive Unterrichts-Dramaturgien sind
trockenes Brot, das einen ganzen Vormittag lang verabreicht wird,
Kuchen ist verboten, Süßes macht Karies. Darüber
wachen die Gralshüter. Sie, die Fachleiter und
fachleiterinfizierten Mentoren, kreiden einem Lehrprobenden
gnadenlos an, er habe fünfeinhalb Minuten lang einen
Vortrag gehalten, er sei ungebührlich lange ins frontale
Unterrichten verfallen, er habe doziert, die Klasse habe schweigend
zuhören müssen. Aus Gründen, die mir vollkommen
unerfindlich sind, hat man das schweigende Zuhören unter Strafe
gestellt. Schweigendes Zuhören scheint irgendwie gleichgesetzt
zu werden mit Langeweile, Wegtreten, Dösen, Überfordertwerden,
Einschlafen, Kommunikationsverlust. Schweigendes Zuhören gilt
als paralysierter Zustand, als unterrichtsmethodischer Alptraum, als
Ausgeburt von lehrerautoritärer Gewaltanwendung. Schweigendes
Zuhören meint komatöses Unterrichtsklima, meint Hirntod,
Verlust jeglicher Kontakte zum Schüler. Schweigendes Zuhören
scheint irgendwie mit dem richtigen Leben aber auch gar nichts zu tun
zu haben. Nichts? Ich persönlich zähle es zu den lustvollen
Momenten, einem gut gebauten und anregend vorgetragenen
Kongreßreferat einer Kollegin schweigend zuzuhören. Ich
persönlich höre still und leise zu, wenn einer meiner
Freunde von seiner Angeltour in Nord-Schweden berichtet. Ich
persönlich muß nun wirklich kein Wort beitragen, wenn mit
jemand erklärt, wie man einen Motorradvergaser aus- und wieder
einbaut. Ich persönlich lausche, falls mir eine Freundin
anschaulich und detailverliebt von ihrem wundervollen Vater erzählt.
Ich, der ich ansonsten weder die Tinte noch das Maul halten kann. Man
könnte einwenden: oh ja, im privaten Kreis, bei vorhandener
Sympathie – da geht das gut! Motorradvergaser? Nur wenn man
Biker ist, sonst doch wohl eher nicht, oder? Kongreßreferate
sind spannend, vielleicht weil man das Thema spannend findet,
außerdem ist man ja extra dorthin gefahren, um ... na ja ...
eben Referate zu hören. In der Schule haben Erzähler nichts
zu suchen, und Referate sind Sache von Schülern zur Erlangung
von guten Noten. Basta!
Ich halte das für grundfalsch und kann zu meiner Rechtfertigung leider nichts Besseres stammeln als die noch heute lebhafte Erinnerung an meinen kurzsichtigen Geschichtslehrer (Dr. Karl Kraus hieß er, die Doppelbödigkeit seines Namens war uns Zwölfjährigen leider noch nicht klar), wie er sich anfangs der Stunde manierlich in Positur stellte, die Füße akkurat nebeneinander, Hände hinter geradem Rücken verschränkt, den Hornbrillenblick leicht in die Ferne geschweift und anhebend mit der Bemerkung, er wolle uns heute erzählen, warum Napoleon die Schlacht bei Leipzig verloren und welche Folgen diese seine Niederlage für den Deutschen Bund gehabt habe. Das eine wie das andere hat uns wenig interessiert, aber er, der Stimmenzauberkünstler, der Sprachgewaltige, der Wortmächtige, er schlug uns ein ums andere Mal in den Bann seiner |