- 361 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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bietet sich gerade bei der Barockoper an, die durch die verwickelte Handlung bedingt zunächst verwirren und demotivieren kann.


Im Unterricht wäre die Verknüpfung verschiedener Zugangsweisen anzustreben: ein vertieftes Verständnis für die Bedeutungsebenen der barocken Musik kann nur mit einer emotionalen Beteiligung am Geschehen einhergehen. Die Beschäftigung und Identifizierung mit den verschiedenen Charakteren kann durch den Versuch, gestische Bewegungsabläufe darzustellen, verstärkt werden. Letztere waren in der Opera seria an Konventionen gebunden, die teilweise gekünstelt wirkten, sich aber zuweilen an den natürlichen Körperausdruck anlehnten und dadurch unmittelbar verständlich sind (z. B. aufrechte Haltung = Freude, hängender Kopf und gebückte Haltung = Trauer).


Ist ein sinnlich-begriffloses Verständnis durch die Zuordnung von Affekten und Körperbewegungen zu der entsprechenden Musik erreicht, lassen sich die kompositorischen Einzelheiten erarbeiten, die ein ästhetisches Verständnis ermöglichen und im besten Falle zu einem erkennenden, reflektiven Begreifen und zu einer Auseinandersetzung mit Geschichte führen können. 1923 führte der Mu­sik­­ästhetiker Kurt Huber bei verschiedenen Versuchspersonen einen Hörtest durch und kam zu verblüffenden Ergebnissen: der fallende Halbtonschritt in tiefer Lage wurde als resignativ empfunden, Konsonanzen in hoher Lage dagegen als freudig. Aufsteigende Intervalle zwischen großer Terz und großer Sexte wurden als Signale interpretiert. Ähnliches ergab sich, als Eberhard Kötter kürzlich in einem Versuch Studierenden Arienritornelle Händels vorspielte: Bestimmte musikalisch dargestellte Affekte wurden überwiegend korrekt erfaßt. Die Versuchspersonen waren in der Lage, die barocken Affekte vom Hören her emotional zu bestimmen und zu benennen5

5 Vgl. Eberhard Kötter, Zu Bezügen zwischen den Benenungen von Affekten in der Barockmusik und Begriffen der heutigen Emotionspsychologie, in: Jahrbuch der deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie, Bd. 12 (1995), Wilhelmshaven 1996, S. 75–88.

. Bedenkt man, daß die Film- und Werbemusik noch heute gewisse Floskeln zur Nachahmung von Erscheinungen oder zur Darstellung von Emotionen verwendet, die einige Jahrhunderte alt sind, wird deutlich, daß die „Gleichzeitigkeit der Zeiten“, die das Medienzeitalter uns beschert, durchaus im schulischen Unterricht aufgegriffen und sinnvoll genutzt werden kann. Auf stereotype Wendungen und Wirkungen hinzuweisen, heißt nicht, daß man sie verabsolutiert, sondern daß man sich ihrer bewußt wird.


Da es aus vielerlei Gründen unmöglich ist, eine ganze Oper im Unterricht zu behandeln, wären Arien auszuwählen, denen verschiedene Affekte zugrunde liegen (wobei das Psychomotorische angesichts der jugendlichen Präferenzen etwas stärker betont werden sollte). Von der schematischen A-B-A-Arie bis hin zu Großszenen (beispielsweise bei „Wahnsinnsarien“) existiert ein breites Formenspektrum. Sicherlich geht bei der Beschränkung auf wenige Arien der


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