zu reflektieren.
Sprachkompetenz vermehrt die Ausbildung von komplexen
Sozialfähigkeiten, die Fähigkeit zur Beziehungsaufnahme mit
dem Anderen. Je weniger dieser Prozeß fortgeschritten ist,
desto größer ist die Gefahr von unsozialen und in ihrer
extremsten Form gewalttätigen Handlungen. Zunehmende
Sprachinkompetenz eines Teils ihrer Mitglieder ist längst
fundamentales Problem in unserer Gesellschaft geworden, deren
Wertvorstellungen sich auf Dialog und Toleranz aufbauen. Der
verstärkte Analphabetismus in unserem Land führt zu immer
größer werdenden A-Sozialitäten und
Unversöhnlichkeiten. Die Entfaltung der Seelensprache des
Singens könnte gerade der immer größer werdenden
Gruppe jener, die angesichts des bereitstehenden Reichtums der
Sprache ungeschminkt als sprachverkümmert bezeichnet werden
kann, eine große Hilfe sein. Speziell auch deshalb, weil das
Singen auf besondere Weise die Fähigkeit zu lauschen befördern
kann. Durch die Fähigkeit zu lauschen wachsen aller Erfahrung
nach auch die Fähigkeit und das Interesse, zu sprechen und die
Worte des anderen zu erhören. Die Sprache gewinnt in diesem
Prozeß wieder an Bedeutung. Die Sprachfähigkeit, und damit
zugleich die Dialog- und Toleranzfähigkeit, entfalten sich in
komplexeren Bezügen.
Auch das folgende paßt in die heutige Zeit des Neuaufbruchs und der Überwindung alter Paradigmen. So argumentierte der Rechtswissenschaftler Gerhard Huhn in seiner Arbeit Kreativität und Schule, daß die einseitige Überbetonung der rationalen Dimension in den Lehrplänen der Allgemeinbildenden Schulen, daß die Verwissenschaftlichung, besonders auch im Fach Musik, die freie Entfaltung der Persönlichkeit ernsthaft gefährdet und damit verfassungswidrig ist. Denn, verkürzt gesagt, wird damit die Entwicklung der linken Gehirnhemisphäre überproportional gefördert, während die rechte Gehirnhemisphäre, die primär für das intuitive und analoge Denken zuständig ist, verkümmert. (Vgl. Huhn 1990.) Es fehlt allerdings noch an der entsprechenden sozialen Bewegung, daß derartige Erkenntnisse auch gesellschaftlichen Konsequenzen zeitigen. Aber allein die Tatsache, daß eine solche Arbeit geschrieben wurde, ist Zeichen eines Aufbruchs.
Hier möchte ich auch noch zur Vertiefung hinzufügen: Große Teile der rationalen Dimensionen des Denkens können langfristig sicherlich besser, schneller, zuverlässiger von Maschinen übernommen werden, denn sie folgen der Logik. Im Unterschied zur Maschine braucht der Mensch zur vollständigen Entfaltung seiner Potentiale eine gleichgewichtige Entwicklung seiner rechten Gehirnhälfte, deren Entfaltung und deren Zusammenwirken mit der linken Gehirnhemisphäre erst wirklich ermöglicht, die komplexen Herausforderungen an seine Dialogfähigkeit zu bewältigen. Den Dialog betrachte ich bezüglich unserer Zukunftsfähigkeit als zentralen Begriff. Neben der Logik als Wissenschaft gälte es entsprechend eine Wissenschaftsdisziplin zu entwickeln, die ich als Dialogik bezeichnen möchte. Mit der rechten Gehirnhälfte, vereinfacht gesagt, entscheidet der Mensch, was er tun will. Er kann dort komplexe Bewertungen vornehmen. |