- 343 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Empirische Befunde zur Bedeutung des Singens


Friedrich Klausmeiers Hypothese, daß Singen unersetzbare Lebensfunktionen erfüllt und als „Teil der humanen Existenz der soziokulturellen Person [...] nicht ohne Beschädigung ihrer Existenz verloren werden“ kann (vgl. Klausmeier 1982, S.11), wird durch die Untersuchung von Karl Adamek in der grundlegenden Tendenz bestätigt. Diese Untersuchung wurde mit mehr als eintausend Probanden anhand von Fragebogen, Test und Experiment durchgeführt. In ihr wurde erstmals mit den empirischen Mitteln der Individualpsychologie die Bedeutung des Singens für das Individuum untersucht. (Vgl. Adamek 1996.)

Die beachtlichen empirischen Befunde konnten trotz aller zu beobachtenden und hier thematisierten Verfallstendenzen objektiviert werden. Dies kann als ein weiterer Beleg für das noch längst nicht erkannte, geschweige denn ausgeschöpfte Potential des Singens gewertet werden. Die Ergebnisse sind besonders angesichts einer Überzeugung, die mich mein Leben lang gestärkt hat, bedeutungsvoll: das, was ein einzelner Mensch kann, ist grundsätzlich menschliches Potential und wert, auf Sinnhaftigkeit und die Möglichkeit seiner Übertragbarkeit auf andere Menschen oder sogar die Allgemeinheit geprüft zu werden.

Im folgenden möchte ich also einige der konkreten Resultate der reichhaltigen Untersuchungen von Adamek nennen: Singen konnte in dieser empirischen Arbeit individualpsychologisch als Gesundheitsverhalten (vgl. Schwarzer 1992) belegt werden, mit kurzfristig und langfristig positiven Auswirkungen. (Welche Möglichkeiten das Singen darüber hinaus in seinen sozialen Dimensionen hat, ist in der Arbeit noch gar nicht thematisiert.) Belastende Emotionen wie Angst, Trauer, Streß verarbeiten zahlreiche Menschen durch Singen, so daß sie ihren Lebensalltag leichter bewältigen.

Singen ist also im Sinne von Weber auch eine Bewältigungsstrategie zum Zwecke der Regulation von Emotionen (vgl. Laux/Weber 1990), die von vielen in ihrem Lebensalltag genutzt wird und die vorrangig alleine bzw. selbstbezogen stattfindet. Dies wird subjektiv von den Befragten so erfahren und zeigt sich objektiv in einem psychischen Leistungstest durch höhere Leistungen nach dem Singen und in einem physischen Leistungstest durch höhere Leistungen beim Singen. Es wurde festgestellt: Beim Singen kann der Mensch sein ureigenes, jederzeit verfügbares musiktherapeutisches Selbstheilungspotential entfalten. (Vgl. Adamek 1997, S. 26.)

Über 90 % der Untersuchungsteilnehmer in der Arbeit sagen von sich, daß sie gerne singen. Aber sie tun es kaum im gemeinschaftlichen Kontext mit anderen, sondern vor allem für sich alleine. Wenn sie dabei „entdeckt“ werden, wie einige ihr Gefühl beschrieben, wenn ein anderer unerwartet hinzutritt, empfindet die Mehrheit Scham.

Das kann als Beleg dafür gewertet werden, daß das Singen im Sinne Klausmeiers ein menschliches Bedürfnis ist, daß aber die soziale Abwertung das Bedürfnis


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