- 342 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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die damit schon an einem Fundament für eine ‚Erneuerte Kultur des Singens‘ gearbeitet haben und deren Lieder bis heute lebendig sind.

Auch im kirchlichen Kontext gab und gibt es bis heute Initiativen um eine Erneuerung der Alltagskultur des Singens mit Pit Janssens und Ludger Edelkötter, um nur zwei zu nennen.

Von Karlheinz Stockhausen ausgehend entwickelte Michael Vetter das Obertonsingen und dessen besondere kontemplative Qualitäten weiter. In immer mehr Städten entstehen seither Gruppen, die sich zum Obertonsingen treffen.

In der Friedensbewegung der 70er Jahre und auch in der Anti-Atomkraft-Bewegung wurde viel gesungen, und es entstanden zahlreiche neue Lieder. Auch diese Bewegungen klangen aus und mit ihnen weitgehend ihre Lieder.

Es lassen sich noch viele Beispiele aufführen, in denen man Elemente einer sich erneuernden Kultur des Singens erkennen kann.

Im lebendigen Gewebe unserer Gesellschaft sind uns aufs Ganze bezogen aber trotz allem die bunten Fäden einer sich kontinuierlich mitentwickelnden Alltagskultur des Singens entglitten. Sie können und sollten jedoch wieder neu aufgenommen und weitergesponnen werden. Im Zuge dieser ganzen Entwicklung ist in der deutschen Bevölkerung ein rasanter Verfall der Fähigkeit zu singen zu verzeichnen. Und ich meine hier das Alltagssingen, bei dem Menschen aus Lebensfreude und zur Steigerung ihres Wohlbefindens in Problemlagen singen, also nicht als Darbietung auf der Bühne oder dem Podium.

Wer singt denn noch seine Kinder selbst in den Schlaf und weiß, daß dies für die geistige und seelische Entwicklung des Kindes besonders förderlich ist? Wo feiern denn noch Menschen im privaten Rahmen selbstverständlich mit gemeinsamem Singen? Wer versteht denn noch, sich den Schmerz von der Seele zu singen, und wer weiß, welch unschätzbaren Wert gerade das Singen für die Lebensqualität alter Menschen haben kann? (Vgl. Adolphsen/Rauhe 1999.) Menschen, die noch darum wissen, sind heute schon selten gewordene Ausnahmen.

Seit den sechziger Jahren kann man also von einer zunehmenden Tendenz zur Singabstinenz in unserer Gesellschaft sprechen. Diese aus heutiger Sicht problematische Entwicklung hat vom Kindergarten über die Schule letztlich alle Lebensbereiche beeinflußt. Der schleichende Verfall der Singfähigkeit läßt sich besonders bei Kindern feststellen, ist aber bisher kaum aufgefallen, weil man die Bedeutung des Singens noch nicht erkannte und deshalb das Interesse nicht darauf richtete.

  • Auch wenn die 750 000 aktiven Chorsängerinnen und -sänger in Deutschland und die ca. 2 Millionen passiven Chormitglieder oft als Beweis dafür herangezogen werden, daß doch allerorten gesungen würde und daß es das angesprochene Problem gar nicht gäbe, so machen die Aktiven gerade einmal 1 % der Bevölkerung aus. Und Chorgesang umfaßt auch noch lange nicht das, was unter Alltagskultur des Singens zu verstehen ist, obwohl beides sich wechselseitig befördern kann. (Vgl. Allen 1995.)



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