- 301 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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daß es gut ist, wenn der Dichter... auf seiten der für ihr Volkstum sorgenden steht, indem er der rechnenden klugen und klügelnden Ratio... kampffreudiger das Gefühl entgegenstellt, indem er sich alter, magischer Ströme, die Erde, Mensch und Himmel füllen, innefühlt und ihnen inne­bleibt, indem er der Ehrfurcht vor der Seele und den Wurzeln des Lebens verhaftet lebt.26

26 Blunck 1933, S. 199. Zit. nach v. Bormann 1976, S. 259.


Dieser vage Appell an das Irrationale und Wurzelhafte „des Lebens“ wurde zur Leitlinie ebenso bei der Auswahl der Lesestücke wie bei den Texten, die sich zur Vertonung anboten.


Nimmt man ein Lesebuch wie Das ewige Deutschland (1940) für die achte Klasse zur Hand, so wird unter den vorrangigen Zielvorstellungen auch der Judenhaß deutlich. Stets sind die Herausgeber auf der Suche nach historischer Verwurzelung und „Legitimation“. Allein in diesem Band kommt der politisch einflußreiche antisemitische Göttinger Orientalist und Kulturphilosoph Paul de Lagarde (1827–1891) in vielen Beiträgen auf 25 Seiten zu Wort, als historischer Gewährsmann für nationalsozialistische Anschauungen. Durchgehend werden die Juden diffamiert: de Lagarde behauptete bereits 1884, der „Jude..., weil er uns fremd ist, erzeugt in unserem Körper Eiterung“. Und Eiterbeulen müssen natürlich ausgedrückt werden. Er behauptete weiter, „daß die Juden... die Träger der Verwesung sind“. Und: „Wer nicht will, daß das deutsche Reich der Tummelplatz der homunculi werde, der muß gegen Juden und Liberale... Front machen.“27

27 Hackenberg/Schwarz 1940, S. 304 ff.

De Lagarde definierte in einer Anmerkung, was er unter homunculi verstand, nämlich „nicht gezeugte und geborene, sondern künstlich zusammengebraute Menschlein“.


In welchem Ausmaß der schulische Musikunterricht – weit überwiegend nur Gesangunterricht – quantitativ wie qualitativ von solchen und ähnlichen Indoktrinationen bestimmt war, läßt sich heute kaum noch eruieren. Auf jeden Fall zeigen Beispiele, daß rassistische Faktoren doch eine Rolle spielten, und zwar über das Singen von NS-Liedern hinaus. So äußerte sich der Bremerhavener Musiklehrer Bierwirh 1938 über den Musikgeschichtsunterricht an seiner höheren Schule völlig unzweideutig: Die Schüler sehen „unsere unsterblichen Meister, die der deutschen Musik die Führerstelle in der Welt erwarben, unter dem Gesichtswinkel von ‚Musik und Rasse‘...“.28

28 Stuckert 1938, S. 36 f.


Die „Weltmachtstellung“ der deutschen Kultur und insbesondere der Musik wurde ebenso wie zu Kaisers Zeiten auch, und das noch verstärkt, im Dritten Reich betont – Akte der Selbst-Schmeichelei und Selbstbestätigungsrituale vor dem Hintergrund rassischer Hochwertung.



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