- 243 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Notenbeispiel 3: Ravel, La Valse, Harmonieschema des Anfangs


Zum vierten: Nimmt man die Septparallele als ein entscheidendes Kriterien, so wäre allerdings die oben genannte, von Kurth in „doppelter“ Weise gedeutete Stelle aus der 3. Szene des 1. Aktes (Takt 1051) kein Beispiel für den Tristan-Akkord mehr, da ihm die entsprechende Fortführung fehlt! (Im Schema von Notenbeispiel 2 entspräche diese Wendung einer Kombination von Beispiel 2a und 2c: Wie in 2a wird nur einer der beiden dissonierende Töne stufenweise abwärts geführt, während die Baßstimme wie in 2c einen Quintfall bildet.) Andererseits ist aber unzweifelhaft, daß hier der gleiche Akkord „gemeint“ ist. Nicht nur die Oberstimmenführung entspricht dem Tristan-Anfang, es korrespondiert dieser Abschnitt noch in weiterer Hinsicht mit dem Anfang. Kurz zuvor erklingen zu Brangänes Gesang „Kennst Du der Mutter Künste nicht?“ im Orchester die „echten“ Tristan-Akkorde des Vorspiels (Takt 1038–1045 bzw. Peters-Klavierauszug, S. 51, 3. T. des 2. bis Ende des 3. Systems), und zwar in originaler Tonhöhe einschließlich der gleichen Sequenzierungen wie zu Beginn des Tristan. Isoldens Gesang („Der Mutter Rat gemahnt mich recht“) samt seiner Orchesterbegleitung bezieht sich darauf direkt (wiederum finden sich auch analoge Sequenzierungen). Vielleicht hülfe hier eine Unterscheidung zwischen „Tristans Akkord“ und dem „Tristan-Akkord“ weiter. Immerhin: käme in Wagners Tristan einzig diese „entschärfte“ Version vor, wie sie an dieser Stelle Isolden beigegeben ist und bei der anstelle des Halbtonschrittes im Baß ein Quintfall erscheint, so hätte diese Akkordverbindung wohl kaum jene musiktheoretische Karriere gemacht, wie wir sie heute mit dem Namen Tristan-Akkord verbinden. (Interessant – auch im Hinblick auf eine inhaltliche Deutung –, daß diese harmonische „Entschärfung“ mit einer Verlangsamung [„Etwas langsamer“] und einer geänderten Dynamik [Crescendo- statt Diminuendo-Gabeln] einhergeht.)


Was nun das Bach-Beispiel bei Harald Schmidt betrifft, so ist in dem dargebotenen Abschnitt außer der gemeinsamen Tonart A-Moll, auf die Harald Schmidt explizit hinweist, beim besten Willen kein Merkmal dingfest zu machen, das in irgend einer Form auf den Tristan und seinen Akkord hinweist. Der Autor neigte schon dazu, an seiner beruflichen Qualifikation zu zweifeln, bis er die Seite 12 in Vogels Buch (1962) einmal wiederlas. Dort ist in der Tat unter der Abschnittsüberschrift „Die Vorläufer des Tristan-Akkords“ vom Bachschen A-Moll-Violinkonzert die Rede. Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: zwar ist dort vom zweiten Satz, dem Andante (in C-Dur) die Rede – der Blick in die Partitur zeigt, es kommt eigentlich nur Takt 35, 3. Achtel mit as2-es2-h1-f1 in Frage –, diese Stelle aber, von einer einzelnen Violine gespielt, ist so unattraktiv und vermittelt zudem das harmonische Geschehen in keinster Weise (nur der erste Teil des Kriteriums ist bei Bach erfüllt), daß unterm volksbildnerischen Aspekt die Entscheidung, den Anfang des ersten Satzes zu bieten, nur gut geheißen werden kann. Wer wird sich ans erstaunliche Faktum des Tristan-Akkordes


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