- 241 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Stufe in Moll, so kann der Akkord des dritten Taktes als übermäßiger Quintsext­akkord zur selben Tonart gehören. Dies wäre im Fall unseres d-f-as-c-Klangbeispieles der Akkord des-f-as-h, ein Fall, der dann seine Auflösung (mit Mozart-Quinten) in C-Moll, besser noch: C-Dur findet – Notenbeispiel 2e. (Für den um eine kleine Terz höher liegenden Anfang des Tristan-Vorspiels liefe dies auf die Tonartenzuschreibung Es- bzw. Dis-Moll/Dur hinaus.) Tatsächlich findet man diese Auffassung auch bei Wagner selbst: beispielsweise in Takt 182–184 bzw. Peters-Klavierauszug, S. 11, 2. Takt des 4. Systems bis dessen Ende (ebenso als Sequenz davon in T. 186–188) und zwar in der zuvor bereits genannten Transpositionsstufe, jener, die mit dem Klang d-as-c1-f1 beginnt, auf C-Moll beziehbar ist und auch drei Been vorgezeichnet hat (in der unmittelbar folgenden Sequenz sind es dann die Töne e-b-d1-g1). Dieses Beispiel ist für den vorliegenden Zusammenhang doppelt interessant insofern, als es einerseits neben den „liegengelassen“ Tönen, die zwischen den Stimmen kreuzen, jeweils zusätzlich eine weitere Stimme gibt, die sogar im wörtlichen Sinne liegenbleibt, nämlich das hinzutretende f1 in der Singstimme („O zahme Kunst...“)! Andererseits ändert Wagner die enharmonische Schreibweise des jeweils zweiten Klanges dieser zweimal wiederholten Akkordverbindung: zwar lautet er im Peters-Klavierauszug durchgängig des-f-as-h (entspricht Notenbeispiel 2e), in der Partitur jedoch findet sich diese Schreibung nur in der zweiten Hälfte von Takt 184, wohingegen in den beiden vorherigen Takten das des als cis notiert ist (entspricht Notenbeispiel 2d). Analoges gilt für Takt 186–188. Die originale Notierungsweise wirft ein bezeichnendes Licht auf Wagners implizite Harmonietheorie: die Baßlinie notiert ihren Tonwechsel enharmonisch als d-cis solange wie sie jeweils zum d zurückkehrt, d. h. als „echten“ diatonischen und nicht als chromatischen Halbtonschritt, wohingegen eben diese Schreibweise d-des bei der Fortführung der Baßlinie in die nachfolgenden Töne c und H von Takt 185 zur Anwendung gelangt. Offensichtlich ist die Wagnersche Orthographie primär an der horizontalen Stimmführung orientiert und nicht an der Logik der Vertikalen mit ihrem Terzschichtungsprinzip, die hier eher einen übermäßigen Quintsextakkord nahelegen würde.


Nun wäre in der Tat das Kriterium: Intervallstruktur eines vermindert-kleinen Septakkordes (bzw. eines weichverminderten Septakkordes in dritter Umkehrung – je nach Notierungsweise) plus Fortführung des Grundtones (bzw. der Quinte) sowie der kleinen Sept (bzw. der Quinte) jeweils um einen chromatischen bzw. diatonischen Halbton abwärts ein sehr scharfes Kriterium zur Tristan-Akkord-Bestimmung, durch dessen Raster die meisten der angeblichen Vorläufer fielen. Ein einziges dieser vielfach behandelten Vorläufer-Beispiele sei unter diesem Gesichtspunkt näher betrachtet sowie – zweitens – ein bislang kaum beachtetes hinzugefügt. Ferner sei – drittens – dieses Kriterium zur Bestimmung eines ebenfalls wenig bekannten Tristan-Zitates herangezogen und schließlich – viertens – eine Konsequenz dieser Art von Bestimmung des Tristan-Akkordes problematisiert.



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