- 238 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Baßton mit dazugehören („Ist der Tristan-Akkord in enger Lage noch derselbe Akkord wie in der originalen, weiten?“). Bereits angesprochen wurde die Frage, ob es sich um denselben Akkord handelt, wenn er einerseits als Vorhalts- oder Leittoneinstellungsgebilde gehört und gedacht wird, oder andererseits um einen Akkord im eigentlichen Sinne (was allerdings die kontextfreie Betrachtungsebene bereits übersteigt). Wichtig für das Wiedererkennen könnte auch die Instrumentation sein. Daß diese nicht von vornherein gleichgültig sein kann, belegen Argumente, die seine harmonische Selbständigkeit mit eben diesem Sachverhalt begründen: „[Der] Zusammenklang des Taktanfanges [erhält] bereits bei seinem ersten Erscheinen eigenes Gewicht, da er in einer Instrumentengruppe unaufgelöst bleibt.“ (Breig 1967, S. 987b.) Selbst die Tatsache, daß bei vielen angeblichen Tristan-Vorauszitaten betont wird, es handele sich sogar um dieselben absoluten Tonhöhen wie bei Wagner (gleichgültig, ob sie enharmonisch übereinstimmen oder nicht), könnte dazu verleiten anzunehmen, daß dieses Merkmal eine Rolle spielte.


Bedeutsamer sind allerdings Eigenschaften, die sich auf den Kontext beziehen. Zwar wird dabei in aller Regel der Nachfolgeklang betrachtet, weniger oft aber die harmonischen Implikationen des einstimmigen, vorausgehenden Anfangsmotives. Daß dieses sowohl als A-Moll- wie auch als D-Moll-umschreibend angesehen werden kann, wurde bereits angesprochen. Nachzutragen wäre, daß diese Phrase von sich aus eine harmonische Funktion umschreibt, die „normalsprachlich“ eine melodische wie harmonische Fortsetzung erheischt, die der Tristan-Akkord aber gerade verweigert: eine auftaktige aufwärtsgeführte kleine Sexte, an die sich eine Bewegungsumkehr mit stufenweiser Fortsetzung anschließt, läßt auf Basis von Tonleiterhypothesen das Erklingen des ihr zugeordneten Grundtones hoffen. Mit anderen Worten: die Töne a-f1, gefolgt von einem e1 lassen die Fortsetzung d1 erwarten (siehe Notenbeispiel 1a), die bei Wagner durch ein melodisches wie akkordliches dis1 enttäuscht wird – die D-Moll-Hörhypothese des Anfangs muß vom Hörer fallengelassen werden. Selbst die Klangstruktur des Tristan-Akkordes ließe sich noch so einpassen, daß dieser sich reibungslos ins Konzept leitereigener Akkorde der vom Eröffnungsmotiv initiierten Tonalität einfügt (Notenbeispiel 1b). Man beachte, daß die unter Verwendung der bei Wagner selbst vorkommenden enharmonischen Schreibung (vgl. Tristan und Isolde, Takt 1051) konstruierte Einpassung gerade im Halbtonabstand zur originalen „unnormalen“ Tristan-Eröffnung steht (Notenbeispiel 1c).

(Die Bedeutsamkeit der impliziten Harmonik des unbegleiteten melodischen Sextmotives wird noch unterstrichen dadurch, daß die – variierten „tonalen“ – Sequenzierungen in Takt 4 f. bzw. Takt 8 gerade so eingerichtet wurden, daß sie in den Akkorden des vorherigen Sequenzgliedes jeweils enthalten sind.)




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