- 236 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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HAUSAUFGABE:


1.) Führen Sie aus, wie Schönberg auch im Rahmen traditioneller Harmonielehren hätte argumentieren können, als eine Aufführung seiner Verklärten Nacht abgelehnt wurde, da sie eine unzulässige Umkehrung eines Nonenakkordes enthielte (vgl. Schönberg 1911, S. 389 f. [417 f.]).

2.) Begründen Sie, weshalb er sich mit seiner Ablehnung harmoniefremder Töne dabei selbst im Wege stand.


In der Tat gibt es noch schlagendere Paradoxien über die Vermengung von Ober- und Unterdominantklängen: Nimmt man etwa einen übermäßigen Quintsextakkord – etwa den Klang des-f-as-h –, der klassischerweise der dominantischen Funktion zugeordnet wird, und entfernt nur einen Ton, das h, so ist man plötzlich im (neapolitanischen) Subdominantbereich.


Aber auch im Zusammenhang mit Vorhaltsbildungen kann es dazu kommen, daß derselbe Akkord einmal von der Tonika, ein anderes Mal von der Dominante abgeleitet wird: Ernst Kurth kommentiert in der ersten Auflage seines Wagner-Buches das Notenbeispiel 11, das eine Akkordfolge aus der 3. Szene des 1. Aktes des Tristan wiedergibt (Takt 1051 f. bzw. Peters-Klavierauszug, S. 51, 1. u. 2. Takt des 5. Systems), nämlich c-ges-b-es1 zu F-es-a-ges1, wobei die obersten Töne der Folge wie im Vorspiel chromatisch verbunden sind (es1-e1-f1-ges1), wie folgt: „Spannungs- und Lösungsakkord sind identisch: f-a-c-es-ges. Im ersten Akkord Leittoneinstellung des b zum a.“ (Kurth 1920, S. 58.) In der zweiten Auflage hingegen heißt es stattdessen: „Der Spannungsakkord ist dominantisch: C7-F9; im ersten Akkord Alteration der Quint zu ges (wobei die Auflösung ins f in anderer Stimme erscheint) und Leittoneinstellung des es (eigentlich dis) zu e.“ (Kurth 1923, S. 60; vgl. dazu auch die Kritik bei Vogel 1962, S. 68 f.)

Derartige Probleme kennt die Stufentheorie natürlich nicht, für sie ist dieser Fall klar: Dieser erste Akkord (er ist übrigens – sieht man von die Notierungsweise ab – identisch mit dem um eine Quarte tiefer transponierten Tristan-Akkord und wird zudem an analoger Formstelle gebraucht) wird stufentheoretisch als ein Septakkord der II. Stufe verstanden, dem einer der V. Stufe folgt, und zwar beziehbar auf die Tonart B-Moll/-Dur. (Vgl. dazu auch die Ausführungen weiter unten.)


Letzte Bemerkung zu Debussy: Macht man sich klar, daß die beiden unterschiedlichen Einbettungen des „Tristan-Akkordes“ in traditionelle Dominantharmonien (auf der Basis der originalen Tonhöhen bei Wagner) Verweise auf die Tonarten Es-dur und Ges-Dur implizieren und diese die Haupttonarten des dreiteiligen Stückes sind, so kann man feststellen, daß nicht nur der Tristan-Akkord bisweilen der Erklärung bedarf, bisweilen erklärt er auch seinerseits etwas, nämlich die Harmonik-Disposition Debussys. (Allerletzte Bemerkung zur „Kinderecke“: die einzige Stelle, wo ernsthaft im Es-Dur-Teil die Tonart verlassen wird, Takt 23 f. und 102 f., geht’s nicht irgendwohin, sondern nach Ges-Dur [Allerallerletzte, das Thema zu Tode walkende Bemerkung zum „cake walk“: die „vorenthaltene“ Septparallele gibt’s tatsächlich auch noch: Das H-a des Takt 110 wird zum B-as von 111, dem Grundton und der Septe eines Dominantakkordes.].)


Was zu Debussy angemerkt wurde, ließe sich auch vom Schönberg-Beispiel Verklärte Nacht sagen: primär gemeint sein dürfte bei Breig wiederum das melodische Motiv. In Takt 19 beginnend – damit man’s auch merkt: synkopisch und im Unisono von 1. Geige und 1. Bratsche – zitiert der Komponist die melodische Phrase des Tristan-Anfangs samt ihrer ungefähren rhythmischen Kontur: das zur großen Sexte geweitete aufsteigende Intervall c2-a2, gefolgt von dem


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