- 234 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Jürgen: Da hört man im zweiten Takt auch den Akkord, aufgelöst durch die Melodie – also...

[Wiederholt den Anfang]

...hier bei dieser Stelle, ...

[spielt hier nochmals die originalen Töne Debussys aus dem zweiten bzw. dritten Takt, die Folge as-f-c-ces]

...haben wir den Akkord auch*.


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*Schmidts Rekurs auf das Debussy-Beispiel geht in seiner Erklärung durch die Ausführungen des Pianisten (Keyboarders) sogar noch weiter als seine Nennung bei Breig. Bezieht sich dieser im Zitatzusammenhang eher auf das „melodische Anfangsmotiv“ denn den Akkord selbst – gemeint ist die Stelle mit der „Beischrift“, d. h. Takt 61–68 bzw. 73–78 –, so belegen die Demonstrationen Jürgens auch noch weitere Subtilitäten des Impressionisten, nämlich daß auch der Akkord selbst zitiert wird. Dadurch, daß auf die scheinbar falsche Stelle – die Einleitung – hingewiesen und an ihr der Akkord verdeutlicht wird (as-f-es-ces von Takt 2 und 3 ist – wie hier mehrfach gezeigt – der enharmonisch und in der Umkehrungsform, nicht aber den Tonhöhen selbst veränderte Anfangsklang des Tristan), wird aber die Aufmerksamkeit dafür geschärft, daß auch in Takt 63 f. und 75 der Akkord selbst, wenn auch versteckt, vorhanden ist. Der Dominantseptnonenakkord in Dur mit weggelassenem Grundton, die einzige Form, in der die funktionelle Harmonielehre den vermindert-kleinen Septakkord ohne theoretische Verrenkungen behandeln kann, wird hier vom Komponisten um seinen Grundton (rück)ergänzt, und zwar bezogen auf Ges-Dur, der Tonart des gesamte «Un peu moins vite»-Teils: Des-F-As-Ces-Es enthält im „oberen“ Teil F-Gis-H-Dis.


Der zusätzliche „Gag“ Debussys – neben dem Stilhöhen-Kontrast zwischen der Unterhaltungsmusik des Ragtime-Vorläufers und dem Tristan-Vorspiel-Zitat – besteht darin, daß ihm die skandalösen Zähne der harmonischen Fortschreitung gezogen wurden. Nicht nur, daß der Akkord eingebettet und zudem erst in den nachschlagenden Achtelakkorden vollständig implementiert erscheint, nicht nur, daß die aufsteigende chromatische Linie entfernt bzw. in den Baß vorverlegt wurde – nein, auch die eigentlich erst den Akkord zum Tristan-Akkord machende Weiterführung der Wagnerschen Töne f und dis (bei Debussy: f und es) in die Septe e-d (vgl. Vogel 1962, S. 90 f. und unsere [Wissenschafts-Plural!] Ausführungen weiter unten), wurde von Debussy suspendiert: er repräsentiert tatsächlich eine Dominantfunktion und wird „regulär“ fortgeführt in die Tonika Ges-Dur Takt 67 f. und 78 (freilich mit der in der U-Musik möglichen Ajoutierung der Sexte zur Tonika). Als ob damit nicht der Anspielungen und Ironisierungen genug getan worden wäre, hält der Komponist noch einen weiteren harmonischen Witz bereit. Nicht nur der Dominantseptnonenakkord in Dur „beinhaltet“ unseren vermindert-kleinen Septakkord, auch der Undezimenakkord mit kleiner


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