(intuitiven) Bewertung von unterschiedlichen
Akkorden wie der Subdominante mit Sexte anstelle der Quinte und der
Subdominantparallele mit der Terz im Baß: beide gelten ihr
unterschiedslos als Sextakkord der II. Stufe. Umgekehrt hat die
funktionelle Harmonielehre Probleme mit den Akkorden der VII. und –
in Moll – der II. Stufe: In tonalen Quintfallsequenzen
beispielsweise ist sie gezwungen, bei der harmonischen Bewertung
Akkordtypen mit einer unterschiedlichen Anzahl von Terzen –
beispielsweise Dreiklänge mit Vierklängen (ohne Grundton) –
zu kombinieren.
Eben diese beiden Akkorde – die VII. Stufe in Dur und II. in Moll – sind es, mit denen die Stufentheorie den Tristanakkord „erklärt“. Im Unterschied zur funktionellen Harmonielehre aber kann die Stufentheorie sowohl den ersten als auch der zweiten Zusammenklang in Takt 2 als selbständigen Akkord fassen (siehe auch das obige Schönberg-Zitat; Schönberg ist [als Riemann-Gegner] Vertreter der Stufentheorie): f-h-dis1-gis1 ist Sekundakkord der VII. Stufe, f-h-dis1-a1 ist Terzquartakkord der II. Stufe. Diese Deutung setzt voraus, daß zu den zulässigen Ableitungsregeln auch die Hoch- bzw. Tiefalteration von Leiterstufen (im Unterschied zur Alteration von Akkordtönen) gehört. Die Hochalteration der IV. Leiterstufe bewirkt dabei den Übergang vom d zum dis.
Ein Vertreter dieser Auffassung ist das Lehrbuch von Dachs-Söhner, das sogar noch einen Schritt weiter geht und die beiden Versionen als Repräsentanten (historisch) unterschiedlicher Hörweisen rubriziert (Dachs/Söhner 1951, S. 57). Diese differenzierte Position scheint auf Paul Söhner zurückzugehen, da die von Dachs allein verantwortete Ausgabe lediglich den „Weich=verminderten Septakkord“ als Wechseldominantharmonie (Dachs 1931, S. 72 ff.) kennt. (Unter einem weichverminderten Septakkord versteht Michael Dachs einen Moll-Dreiklang [Moll = weich] mit einer verminderten Septe, also etwa ein Gis-Moll-Dreiklang mit der Septime f. Eben dieser Akkord in der Umkehrungsform als Sekundakkord wäre dann der Tristan-Akkord.)
Das Problem, daß in der konkreten Stimmführung bei Wagner bei der Folge VII. Stufe–V. Stufe wie auch bei der Folge II. Stufe–V. Stufe, d. h. beim Übergang von Takt 2 nach 3, diese Alteration jeweils rückgängig gemacht werden muß, ist kein systemsprengendes Ereignis, sondern haben Stufen- und Funktionstheorie gemeinsam: Das dis1, das von Wagner ins d1 geführt, d. h. nicht in Richtung der Alteration weitergeführt wird (bzw. im funktionellen Kontext: das Problem, daß der aufwärts gerichteten Fortführungstendenz von Dominantterzen nicht Rechnung getragen wird), ist erklärlich durch stellvertretende Auflösung ins e (bei gleichzeitiger Einführung eine neuerlichen kleinen Sept d). Diese Erscheinung bei quintverwandten Durdominantseptakkordketten findet sich durchaus auch bereits bei Bach, wie etwa in den realen Sequenzen im Einleitungschor der Johannes-Passion, Takt 10 ff.
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