- 203 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (202)Nächste Seite (204) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Zu 4.: „Da muß man schon spielen können... “: Hinweise der Schubert-Forschung – auch für Laienorchester?


Die Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse widerlegen eindeutig die Behauptung Renners, die 5. Sinfonie sei „das Repertoirestück aller Liebhaberorchester“. Der ganze Abschnitt dieses Reclam-Konzertführers, wie er eingangs zitiert ist, wird dem Werk in keiner Weise gerecht. Nun kann an dieser Stelle keine Werkanalyse mit dem Ziel einer Einschätzung des spieltechnischen Schwierigkeitsgrades und des formalen bzw. interpretatorischen Strukturverständnisses im Hinblick auf Laienorchester en detail erfolgen,36

36 Wolfram Steinbeck, Die Sinfonien, in: Dürr/Krause (Hg.), a. a. O. (s. Anm. 3), S. 550–670. Marginal geht Steinbeck, S. 602–609, auf diesbezügliche Fragen ein. Vgl. Leibowitz, a. a. O. (s. Anm. 34), S. 176 u. 180.

aber es sind Hinweise angebracht, die auf eine notwendige Revidierung bestehender Vorurteile abzielen. Diese werden von der Schubert-Forschung bereitgehalten, sind aber von einer breiten Öffentlichkeit noch nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen worden, wie die Repertoireanalyse der Laienorchester gezeigt hat. Der Text Renners und die 5. Sinfonie mögen nochmals als exemplarischer Ausgangspunkt dienen:


Allein sprachlich äußert sich die Geringschätzung dieser Sinfonie durch Verniedlichungen („reizend“, „hübsch“, „Papa“ Haydn) und kurze, fast stenographische Sätze, denen man die wegwerfende Handbewegung anmerkt, mit der dieses Werk „ab-getan“ wird („da gibt es nichts zu erläutern“, „das ist das Ganze“). Steinbeck weist mit zwei Zitaten (Brahms 1884 und Feil 1991) darauf hin, wie langlebig sich die Geringschätzung der Sinfonien 1–6 erwies.37

37 Steinbeck, a. a. O., S. 551.

Schlichtheit, Anspruchslosigkeit,38
38 Thrasybulos Georgiades, Schubert, Musik und Lyrik, Göttingen 1967, S. 180: „In der Instrumentalmusik (...) fand Schubert öffentlich anerkannte Gattungen der hohen Kunst vor; und was er zunächst damit machte, war, sie in künstlerisch Anspruchsloseres zurückzuversetzen, in Musik, die vom Liebhaber komponiert wurde und sich an private Liebhaberkreise wandte.“

nur „frische, schwärmerische, originelle Melodien“, das allein schien für Renner nicht dem musikalischen Niveau zu entsprechen, das eine ernsthaftere Würdigung verdiene. („Unmöglich, bei einem solchen Thema ernst zu bleiben“). Der „Hausmusik“ als „Gebrauchsmusik“ gleichgestellt, empfehle es sich den begrenzten Möglichkeiten der Liebhaberorchester, nicht dem kulturtragenden Konzertbetrieb.39
39 Vgl. Steinbeck, a. a. O., S. 552–554.

Im Vergleich zu Sinfonien, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sind, wurden Schuberts Sinfonien von vielen seit ca. 1870 entstandenen Laienorchestern gerade als melodiebetont, volkstümlich, liedhaft und eingängig geschätzt. Dadurch wurden sie in einen Gegensatz zur spätromantischen Orchestersinfonik gesetzt, die als zu schwer für Laienorchester galt, so daß es nahe lag, Schuberts Werke als besonders geeignet zu apostrophieren. Sie werden auch erst Mitte des 19. Jahrhunderts im Konzertsaal bekannt, was zu einem historisierenden Blickwinkel einer vergleichenden Rezeptionsgeschichte geführt hat, der von Werken ausgeht, die ein halbes Jahrhundert

Erste Seite (1) Vorherige Seite (202)Nächste Seite (204) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 203 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik