Zu 4.: „Da muß man schon spielen
können... “: Hinweise der Schubert-Forschung – auch
für Laienorchester?
Die Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse
widerlegen eindeutig die Behauptung Renners, die 5. Sinfonie sei
„das Repertoirestück aller Liebhaberorchester“. Der
ganze Abschnitt dieses Reclam-Konzertführers, wie er eingangs
zitiert ist, wird dem Werk in keiner Weise gerecht. Nun kann an
dieser Stelle keine Werkanalyse mit dem Ziel einer Einschätzung
des spieltechnischen Schwierigkeitsgrades und des formalen bzw.
interpretatorischen Strukturverständnisses im Hinblick auf
Laienorchester en detail erfolgen,36
36
Wolfram Steinbeck, Die Sinfonien, in: Dürr/Krause (Hg.),
a. a. O. (s. Anm. 3), S. 550–670. Marginal geht Steinbeck, S.
602–609, auf diesbezügliche Fragen ein. Vgl. Leibowitz,
a. a. O. (s. Anm. 34), S. 176 u. 180.
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aber es sind Hinweise angebracht, die auf eine notwendige
Revidierung bestehender Vorurteile abzielen. Diese werden von der
Schubert-Forschung bereitgehalten, sind aber von einer breiten
Öffentlichkeit noch nicht in ausreichendem Maße zur
Kenntnis genommen worden, wie die Repertoireanalyse der
Laienorchester gezeigt hat. Der Text Renners und die 5. Sinfonie
mögen nochmals als exemplarischer Ausgangspunkt dienen:
Allein sprachlich äußert sich die
Geringschätzung dieser Sinfonie durch Verniedlichungen
(„reizend“, „hübsch“, „Papa“
Haydn) und kurze, fast stenographische Sätze, denen man die
wegwerfende Handbewegung anmerkt, mit der dieses Werk „ab-getan“
wird („da gibt es nichts zu erläutern“, „das
ist das Ganze“). Steinbeck weist mit zwei Zitaten (Brahms 1884
und Feil 1991) darauf hin, wie langlebig sich die Geringschätzung
der Sinfonien 1–6 erwies.37
37
Steinbeck, a. a. O., S. 551.
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Schlichtheit, Anspruchslosigkeit,38
38
Thrasybulos Georgiades, Schubert, Musik und Lyrik, Göttingen
1967, S. 180: „In der Instrumentalmusik (...) fand Schubert
öffentlich anerkannte Gattungen der hohen Kunst vor; und was er
zunächst damit machte, war, sie in künstlerisch
Anspruchsloseres zurückzuversetzen, in Musik, die vom Liebhaber
komponiert wurde und sich an private Liebhaberkreise wandte.“
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nur „frische, schwärmerische, originelle Melodien“,
das allein schien für Renner nicht dem musikalischen Niveau zu
entsprechen, das eine ernsthaftere Würdigung verdiene.
(„Unmöglich, bei einem solchen Thema ernst zu bleiben“).
Der „Hausmusik“ als „Gebrauchsmusik“
gleichgestellt, empfehle es sich den begrenzten Möglichkeiten
der Liebhaberorchester, nicht dem kulturtragenden Konzertbetrieb.39
39
Vgl. Steinbeck, a. a. O., S. 552–554.
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Im Vergleich zu Sinfonien, die ab der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts entstanden sind, wurden Schuberts Sinfonien von vielen
seit ca. 1870 entstandenen Laienorchestern gerade als melodiebetont,
volkstümlich, liedhaft und eingängig geschätzt.
Dadurch wurden sie in einen Gegensatz zur spätromantischen
Orchestersinfonik gesetzt, die als zu schwer für Laienorchester
galt, so daß es nahe lag, Schuberts Werke als besonders
geeignet zu apostrophieren. Sie werden auch erst Mitte des 19.
Jahrhunderts im Konzertsaal bekannt, was zu einem historisierenden
Blickwinkel einer vergleichenden Rezeptionsgeschichte geführt
hat, der von Werken ausgeht, die ein halbes Jahrhundert
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