- 176 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (175)Nächste Seite (177) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Kunst als artifizieller Fähigkeit ebenso wie als Kunde – und zwar als Kunde und Kenntnis von der Be­schaffenheit und Bedeutung einer Bewegung.

Dies erahnt zu haben, darf als ein Aspekt gewertet werden, der Eduard Hanslick heute höchst aktuell erschei­nen läßt und der ge­eignet sein dürfte, einer Kreativitäts- und Improvisationspädagogik in der Musikerziehung – und noch viel mehr in der Musiktherapie – neue Wege zu ebnen.



2. Bewegungsbeobachtung zur Überprüfung von Musikbeurteilung und Anbahnung einer erfahrungsorganisierenden Musik- und Selbstwahrnehmung und musikalischen Erlebnisvertiefung


In der Musiktherapie und vor allem in der Musikmedizin, die großenteils von Nichtmusikern propagiert wird, hat es sich als bequeme Marotte durchgesetzt, zwischen ergo- und trophotroper Musik zu unterscheiden. Wie schlichtweg falsch solche Unterscheidungen oftmals getroffen werden, läßt sich an dem Buch von Decker-Voigt (1999, S. 74 ff.) und an zur Vermarktung solcherart etikettierter Musik-CDs in seiner eigens dafür gegründeten Firma demonstrieren. Als Merkmal ergotroper Musik werden z. B. Dur-Tonarten angegeben, obgleich sowohl klassische Musik wie etwa das beliebte A-Dur-Klavierkonzert von Mozart als auch die gesamte aktuelle Hitparade von Begräbnis-Popmusik3

3 Veröffentlicht in Focus 10/1999 (8. März), S. 236.

ausschließlich in Dur gehalten sind, wohingegen etwa Smetanas Moldau oder ein so lebenslustiges Tanzlied wie Sascha liebt nicht große Worte oder Lieder wie Heiß brennt die Äquatorsonne, Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren, Joshua fit the battle of Jericho, Hava nagila, Und der Haifisch der hat Zähne oder der den harten Mann symbolisierende erste Teil von Ich schieß’ den Hirsch u. v. a. m. in Moll stehen. Unter „Merkmale trophotroper Musik und ihre Wechselwirkung mit der Psycho-Physis des Hörers“ nennt Decker-Voigt entsprechend Molltonarten. Sinnigerweise werden aber als einzige Beispiele die in Dur stehenden und charakterlich entgegengesetzten Lieder Schlafe, mein Prinzchen und das geradezu von Lebenslust sprühende Bunt sind schon die Wälder (mit dem Text: „Flinke Träger springen, und die Mädchen singen, alles jubelt froh... Junge Winzerinnen winken und beginnen frohen Erntetanz“) vorgestellt, noch dazu mit einer graphischen Veranschaulichung, die weder mit dem rhythmischen und melodischen noch mit dem energetischen Duktus in irgendeiner Weise übereinstimmt. Zwar stehen beide Lieder im 6/8-Takt. Doch ist für deren unterschiedliche Wirkung das Tempo entscheidend (de la Motte 1967). Da auch die übrigen dort genannten Parameter sich so einfach nicht charakterisieren lassen, erscheint es angezeigt, sich die Komplexität von Wahrnehmungsarten und Wirkungsstrukturen von Musik und diesbezüglichen Reaktionsmustern zu vergegenwärtigen.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (175)Nächste Seite (177) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 176 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik