- 175 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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gewinnen und zu einer musikalischen Ausdrucksweise zu finden, mit der er sich identifizieren, sich anderen mitteilen und im Improvisationsgeschehen aktiv und selbstsicher und dadurch produktiv beteiligen kann (siehe auch Beck/Freeman 1993).


Während die Explorations- und Probierstadien innengeleitet sind, verläuft die aktive und produktive Mitwir­kung im musikalischen Gestaltungs- und interaktionellen Kommunikationsprozeß (3. Spielphase: Begegnungs­ebene zur Kontaktaufnahme unter möglichster Beibehaltung der zuvor gefundenen Eutonvorgänge) außengelei­tet und gruppenbezogen.


In allen Stadien läßt sich das Beobachtungsraster der rhythmisch-energetischen Struktur (RES) anwenden. Während im Explorations- und Probierteil eher Gewißheit über die momentane besondere Bereitschaft zum Ein­satz des Bewegungs- und Antriebspotentials erlangt wird, wird im externalen Teil, dem eigentlichen Gruppen­impro­visationsprozeß, die passende Formgebung erkundet, von der die beabsichtigte Wirkung bei anderen ab­hängt. Der Erfolg einer musikalischen Gruppenproduktion wird nicht nur von der Sensibilität und Kompetenz im Umgang mit musikalischen Substanzen und Klangquellen, sondern wesentlich auch vom situationsange­messe­nen und zweckmäßigen Gebrauch von nonverbalen Kommunikationstechniken, d. h., von der gestisch postura­len Ausdrucks- und instrumentalen wie auch vokalen Artikulationsfähigkeit, die für das Verstehen und Ver­standenwerden im musikalischen Beziehungsgeschehen ausschlaggebend sind, bedingt.


Mit Hilfe dieser, auf Bewegungskategorien basierenden Verhaltens- und Musik­­analysekriterien kann das Vor- und Nachgespräch zu personalem und person-abgelöstem Ausdruck (Lavater) wie auch zu musikalischen und anderen Sachaspekten gleichermaßen strukturiert und reflektiert werden.

So sind letztlich die Untersuchungsergebnisse des Ehepaars Kreitler (1980) zum höheren Ansehen von Jazzmusikern gegenüber Mitgliedern von Symphonieorchestern zu erklären. Während Orchestermusiker dem Taktstock eines Vorstehers zu folgen haben, hängt die musikalische Effizienz und Brisanz der Mitglieder eines Jazzensembles von der Spontaneität, Reagibilität und Kreativität eines jeden Musikers ab. Nicht der Klang und die musikalische Struktur, also Sinn und Gehalt, sind für den Erfolg der Jazzmusiker und den Enthusiasmus bei den Zuhören bzw. Zuschauern allein maßgebend, sondern wesentlich auch die gegenseitige Beobachtung der Bewegungen der Musiker untereinander und deren Einfühlungs- und Einordnungsfähigkeit.


Das Sehen gewinnt hier somit einen zentralen Stellenwert. Sehen hat mit dem lat. Wort „videre“ zu tun, von dem sich „wissen“ herleitet. Eine wissende, d. h. auf beobachtendem Sehen beruhende Musikimprovisation ist die Grund­lage für


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