- 121 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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  1. Charakterisieren Sie zunächst die Wirkung, die dieses Stück auf Sie ausübt.

  2. Mit welchen Mitteln wird diese besondere Wirkung erzielt?

  3. Stellen Sie sich vor, in diesem Musikstück beschreibt ein Künstler seine Stellung zur Welt. Wie sieht diese Stellung aus? Geben Sie Ihre Vermutungen zum Ausdruck und begründen Sie diese an Hand der Musik.

  1. Vergleichen Sie mit Ihren eigenen Vorstellungen von einem Künstler.


Für eine Aufführung des Lohengrin-Vorspiels in einem Zürcher Festkonzert im Mai 1853 hat Wagner einen Kommentar verfaßt, in den er sein Verständnis von Kunst und Künstler eingewoben hat. Es ist notwendig, diesen längeren und anspruchsvollen Text in Gänze zur Kenntnis zu nehmen, um Wagners Denk- und Empfindungsweise näher zu kommen.



Richard Wagner: Vorspiel zu Lohengrin


Aus einer Welt des Hasses und des Haders schien die Liebe verschwunden zu sein: in keiner Gemeinschaft der Menschen zeigte sie sich deutlich mehr als Gesetzgeberin. Aus der öden Sorge für Gewinn und Besitz, der einzigen Anordnerin alles Weltverkehrs, sehnte sich das unertötbare Liebesverlangen des menschlichen Herzens endlich wiederum nach Stillung eines Bedürfnisses, das, je glühender und überschwenglicher es unter dem Drucke der Wirklichkeit sich steigerte, um so weniger in eben dieser Wirklichkeit zu befriedigen war. Den Quell, wie die Ausmündung dieses unbegreiflichen Liebesdranges setzte die verzückte Einbildungskraft daher außerhalb der wirklichen Welt, und gab ihm, aus Verlangen nach einer tröstenden sinnlichen Vorstellung dieses Übersinnlichen, eine wunderbare Gestalt, die bald als wirklich vorhanden, doch unnahbar fern, unter dem Namen des »heiligen Grales« geglaubt, ersehnt und aufgesucht ward. Dies war das kostbare Gefäß, aus dem einst der Heiland den Seinen den letzten Scheidegruß zutrank, und in welchem dann sein Blut, da er am Kreuze aus Liebe zu seinen Brüdern litt, aufgefangen und bis heute in lebensvoller Wärme als Quell unvergänglicher Liebe verwahrt wurde. Schon war dieser Heilskelch der unwürdigen Menschheit entrückt, als einst liebesbrünstigen, einsamen Menschen eine Engelsschar ihn aus Himmelshöhen wieder herabbrachte, den durch seine Nähe wunderbar Gestärkten und Beseligten in die Hut gab, und so die Reinen zu irdischen Streitern für die ewige Liebe weihte.

Diese wunderwirkende Darniederkunft des Grales im Geleite der Engelsschar, seine Übergabe an hochbeglückte Menschen, wählte sich der Tondichter des „Lohengrin“ – eines Gralsritters – als Einleitung für sein Drama zum Gegenstande einer Darstellung in Tönen, wie es hier zur Erläuterung ihm erlaubt sein möge, der Vorstellungskraft sie als einen Gegenstand für das Auge vorzuführen. – Dem verzückten Blicke höchster, überirdischer Liebessehnsucht scheint im Beginne sich der klarste blaue Himmelsäther zu einer wundervollen, kaum wahrnehmbaren, und doch das Gesicht zauberhaft einnehmenden Erscheinung zu verdichten; in unendlich zarten Linien zeichnet sich mit allmählich wachsender Bestimmtheit die wunderspendende Engelsschar ab, die, in ihrer Mitte das heilige Gefäß geleitend, aus lichten Höhen unmerklich sich herabsenkt. Wie die Erscheinung immer deutlicher sich kundgibt und immer ersichtlicher dem Erdentale zuschwebt, ergießen sich berauschend süße Dünste aus ihrem Schoße: entzückende Düfte wallen aus ihr wie goldenes Gewölk hernieder, und nehmen die Sinne des Erstaunten bis in die innigste Tiefe des bebenden Herzens mit wunderbar heiliger Regung gefangen. Bald zuckt wonniger Schmerz, bald schauernd selige Lust in der Brust des Schauenden auf; in ihr schwellen alle erdrückten Keime der Liebe, durch den belebenden Zauber der Erscheinung zu wundervollem Wachstume erweckt, mit unwiderstehlicher Macht an: wie sehr sie sich erweitert, will sie doch noch zerspringen vor der gewaltigen Sehnsucht, vor einem Hingebungsdrange, einem Auflösungstriebe, wie noch nie menschliche Herzen sie empfanden. Und doch schwelgt diese Empfindung wieder in höchster, beglückendster


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