- 67 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
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Sprachverstehen ist demnach ein komplexer Prozeß, an dem gedächt-nisfunktionale Prinzipien, situative Faktoren und das Weltwissen des Re-zipienten gleichermaßen beteiligt sind. In gewisser Weise hat der Hörer dabei die Wahl zwischen verschiedenen Vorgehensweisen, oder besser Wahrnehmungsstrategien. Die Art des Verstehens und die Behaltensleistung hängen nämlich davon ab,

a) worauf der Hörer seine Aufmerksamkeit ausrichtet (z.B. auf die syntaktische Richtigkeit oder den semantischen Gehalt des Gehörten); (s. auch Kap. 3.1.1: die Rolle der Perspektive für das Verstehen)
b) ob beim Hörer Schemata vorhanden sind, auf die er den sprachlichen Input beziehen kann;
c) wieviel Zeit für den Verarbeitungsprozeß zur Verfügung steht (s. Hörmann 1976, S. 488).

Damit ist Sprachverstehen zu einem wesentlichen Teil ein konstruktiver und nicht nur ein analytischer Vorgang.

Im Vergleich zum Kenntnisstand in der Psycholinguistik ist das Wissen um musikalische Verarbeitungsvorgänge eher dürftig. Zwar sind gerade unter dem Einfluß der Kognitionswissenschaft große Fortschritte gemacht worden, doch:

"Der Versuch, ein übergreifendes theoretisches Modell für die Verarbeitung musikalischer Reize zu finden, ist bisher wenig erfolgreich gewesen." (Bruhn 1993b, S. 439)

Bislang ist in erster Linie die Wahrnehmung einzelner musikalischer Parameter (Tonhöhe, Lautstärke, Klangfarbe, Dauer, Melodiegedächtnis, etc.; vgl. Nauck-Börner 1987) Gegenstand psychologischer Forschung gewesen. Verarbeitungsmodelle für die gleichzeitige Darbietung mehrerer Parameter und ihre gegenseitige Beeinflussung stehen noch weitgehend aus.
Außer Frage steht jedoch, daß musikalisch-akustische Stimuli nicht in analoger Weise verarbeitet und langfristig gespeichert werden, was die im letzten Teilkapitel angeführte kategoriale Wahrnehmung bestätigt. Melodien werden außerdem nicht in den absoluten Tonhöhen ihrer Einzeltöne gespeichert, sondern können von jeder beliebigen Tonstufe aus wiedererkannt und reproduziert werden (s. Sloboda 1985, S. 27). In diesen Zusammenhang gehört auch eine aufschlußreiche Untersuchung von Sloboda und Parker (1985, S. 143-167),


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