- 63 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
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der Unterscheidung zwischen den Klassen auf Kosten der Unterscheidung innerhalb der Kategorien (s. Krumhansl 1991, S. 281).
Kategoriale Perzeption konnte aber mittlerweile auch außerhalb der Sprache, nämlich bei der visuellen und bei der Musikwahrnehmung nachgewiesen werden. Im Falle der Musikwahrnehmung liegen heute gesicherte Erkenntnisse im Bereich verschiedener akustischer Merkmale vor: Tonhöhen, Intervalle, Akkorde (s. Stoffer 1990, S. 69) und Dauern (s. Sloboda 1985, S. 28 ff.). Auch hier erscheinen absolute akustische Werte von untergeordneter Bedeutung gegenüber den relativen Qualitäten in bezug auf ein Tonsystem oder einen konkreten Rhythmus.

Damit wird deutlich, welche große Bedeutung dem Kontext beim Hören zukommt, da er Informationen über konkrete Bezugssysteme für die elementaren Verarbeitungseinheiten bereitstellt.

"Das Tonsystem stellt vergröbernde Kategorien der Wahrnehmung bereit, die für das Hören von Musik dieses Tonsystems ökonomisch sind." (Nauck-Börner 1987, S. 41)

Allerdings scheint die kategoriale Wahrnehmung im Falle der Musik kein interindividuell gleichermaßen ausgeprägter Mechanismus zu sein, da bei musikalisch Vorgebildeten das auf der Kategorisierung beruhende Prinzip des Zurechthörens (z.B. verstimmter Intervalle) deutlichere kategoriale Grenzen aufweist als dies bei Personen ohne musikalische Ausbildung der Fall ist (s. ebd., S. 40/41). Der Grad der Vertrautheit mit dem jeweiligen Tonsystem erhält damit einen ähnlichen Status wie die Vertrautheit mit dem Phoneminventar einer bestimmten Sprache. Als wenig fortge-schrittener Lerner des Arabischen wird man z.B. anfangs (ähnlich dem Musiklaien) Schwierigkeiten haben, die differenzierenden akustischen Merkmale der einzelnen Phoneme des arabischen Inventars - welches dem Deutschen völlig unbekannte Phoneme enthält - zu bestimmen.
Phoneme und u.a. Klassen von Tonhöhen sowie Akkorden (als Bestandteile eines bestimmten Tonsystems) stellen somit gleichermassen fundamentale Kategorien der Wahrnehmung dar. Sie bestimmen die Bildung grundlegender Verarbeitungseinheiten (s. Serafine 1988, S. 63/64), die sich später, basierend auf allgemeinen Gruppierungsprinzipien, zu größeren Verarbeitungseinheiten zusammenschließen. Diese Gruppierungsprinzipien sind bekannt als Gestaltgesetze und bedürfen hier keiner näheren Erläuterung (zum Nachlesen: Anderson 1989, S. 63-65). Ausschlaggebend ist, daß sie für die Wahrnehmung allgemeingültige, unbewußt ablaufende Mechanismen darstellen, die in bezug auf auditive wie visuelle


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