Die Entwicklung musikalischen und sprachlichen Verhaltens weist außerdem nicht nur ähnliche Entfaltungsprozesse auf, sondern ist vor allem in der Anfangsphase eng miteinander verzahnt. Der erstgenannte Aspekt betrifft das Grundprinzip, daß sprachliche und musikalische Erwerbsvorgänge vom Globalen zum Spezifischen fortschreiten. Ganzheitlich wahrnehmbare Eigenschaften der Sprache wie die Prosodie werden früher "verstanden" als Wortbedeutungen oder syntaktische Beziehungen (vgl. Grimm/Engelkamp 1981, S. 125-127). Auch im musikalischen Bereich wird z.B. der Melodiekontur eher Aufmerksamkeit geschenkt als den exakten Intervallen zwischen den Einzeltönen der Melodie (s. Bruhn 1993c, S. 286/287).
Darüber hinaus gibt es im sprachlichen wie im musikalischen Entwicklungsprozeß Phasen, in denen Lernfortschritte besonders evident sind. Sie heißen auch sensible Phasen. Für die Ausbildung der sprachlichen Syntax gilt beispielsweise ungefähr die Zeit zwischen zweitem und fünftem Lebensjahr als kritischer Zeitraum, in welchem sie durch unbewußte Lernvorgänge und damit am einfachsten erworben wird. Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wann genau der Erstspracherwerb als abgeschlossen gelten kann (s. Bussmann 1983, S. 476), doch im allgemeinen scheint dies vor der Pubertät der Fall zu sein.
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