- 31 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
  Erste Seite (0) Vorherige Seite (30)Nächste Seite (32) Letzte Seite (126)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

"Es gibt sehr wenig Musik, die sofort erfaßt werden kann. Ich bin bestürzt darüber, daß viele Leute Musik nur um der Gedanken willen lieben, die sie in ihnen beim Zuhören weckt. Sie stellen sich wundervolle Szenen vor, [...]. Das macht ihnen Vergnügen, aber es ist doch nicht die Musik, die sie erfreut, sondern die von der Musik angeregten Assoziationen. Das Höchste an Nutzen und Freude beim Anhören von Musik liegt viel tiefer: in der Wertschätzung und Liebe zu den Melodien um ihrer selbst willen, zum Erregenden der Rhythmen, zur Faszination der Harmonie um ihrer selbst willen; in der überwältigenden Befriedigung, die uns ein gut gebautes Musikstück gibt." (Britten 1993, S. 5)

Wie schon Hanslick ("Vom Musikalisch-Schönen", 1854) proklamiert Britten damit, daß auch Formmerkmale bedeutungskonstituierende Funktion besitzen. Dahinter steht die Ansicht, daß auch die Musik, ähnlich der Sprache, eine Syntax besitzt, die die musikalischen Einheiten regelhaft miteinander verknüpft. Wie in der Sprache entsteht durch das geregelte Zusammenfügen eine weitere Bedeutungsschicht, die sich nicht auf die einzelnen Elemente zurückführen läßt, und die rein innermusikalischer Art ist. Musikalische Bedeutung entsteht somit nicht nur durch einen verschlüsselten "Inhalt", sondern zeigt sich auch im tektonischen Aufbau einer Komposition. Adorno hebt in seinem " Fragment über Musik und Sprache " (1956/57) diesen Gesichtspunkt hervor:

"Der musikalische Inhalt aber ist in Wahrheit die Fülle alles dessen, was der musikalischen Grammatik und Syntax unterliegt." (in: Knaus 1973, S.75)

Auch dieser Standpunkt stellt natürlich erneut eine eingeengte Sichtweise musikalischer Bedeutungskonstitution dar, doch ist der syntaktische Aspekt unbestritten einer ihrer wesentlichen Bestandteile und soll nun näher beleuchtet werden.

2.3.2.2 Musikalische Syntax

Da Musik, wie Sprache, ein zeitliches Phänomen ist, setzt sie sich wie jene aus linear miteinander verknüpften Ereignissen zusammen. Letztere besitzen zwar nur vereinzelt eine semantische Fundierung wie die sprachlichen Symbole, doch sollte das nicht daran hindern, von musikalischer Syntax zu sprechen, da auch sogenannte "formale" oder "logische Sprachen" aus einem nicht-symbolischen Vokabular bestehen (s. Stoffer 1990, S. 61).


Erste Seite (0) Vorherige Seite (30)Nächste Seite (32) Letzte Seite (126)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 31 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen