- 91 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Aber gemeinsam mit vielen andern, die aber direkt oder indirekt mit der Jugendbewegung in Verbindung stehen, wie Dalcroze, Bode, Laban u.a., hat man auf diese Weise den Körper wieder freigemacht, ihn, der jahrhundertelang als Sitz der Sexualität verpönt oder aber als militärisch verwendbare Sache einseitig turnerisch geschult worden war. Seine Freimachung bedeutet aber gleichzeitig das Dasein eines Instruments, das in den Dienst künstlerischer Ausdrucksgebung gesetzt werden kann. Aber nicht er allein und in seiner Isoliertheit. Denn die geschichtliche Entwicklung hat die Musik wieder zu ihrer ursprünglichen Funktion eines rhythmisierenden und illustrierenden Begleiters zurückgeführt, dieselbe Entwicklung, die auch die Oper tötete und dadurch eine Verknüpfung von Wort und Ton löste, die nur zeitgeschichtlich bedingt und im wesentlichen formaler Natur war. Hierdurch aber verschaffte sie auch dem Wort wiederum die Möglichkeit zu neuer anderweitiger Verbindung mit dem Klang. Vergegenwärtigen wir uns aber an dieser Stelle nochmals die Art der Bezogenheit der heutigen Menschen und die seelische Haltung, die ihm entspricht, jene beiden Gegenwartserscheinungen, die wir zu Eingang dieses vierten Unterabschnittes unseres vierten Hauptteiles schilderten. Dort erkannten wir, wie unlösbar in allen Heerlagern die Verbindung von Individuum, Bund und Massenorganisation ist. Gewiß lernten wir dann drei neue Kunstformen kennen. Sie alle erwiesen sich als Ausdruck des heutigen Seins: gegenwartsgeschichtlicher Massenfilm mit klanglicher Illustration, musikalisches Rundfunksendespiel und expressionistische Jugendgilde-Tonkunst. Sicher entspringt und entspricht jede von diesen dreien der Gegenwart. Keine von ihnen allen aber ist, wie schon früher vermerkt, der typische Ausdruck jener gesellschaftlichen Dreiheit, die wir vorhin wieder ins Gedächtnis zurückriefen. Diese Rolle aber zu spielen für die uns bislang ein geeigneter Träger nicht begegnete, dazu ist diejenige Kunstform in der Lage, auf die wir jetzt zielen, nämlich der Sprech- und Bewegungschor mit expressionistischer Musik. Denn in ihm ist die Masse repräsentiert durch die Gesamtheit der Leiber und Stimmen, der Bund durch die Sondergruppe, die sich von ihm abhebt, das Individuum als soziologischer Faktor durch Einzelstimme und -körper, die beide in ihrer Einzigartigkeit in die Erscheinung treten. Nun kann aber im gesellschaftlichen Leben die Persönlichkeit nur wirksam werden, wenn sie durch Bund und Massenorganisation


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