- 90 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Die dritte werdende Form ist die Verknüpfung von Jugendbewegung und musikalischem Expressionismus. In dieser Beziehung ist Hindemiths Persönlichkeit, Komposition und Zusammenarbeit mit den Jugendgruppen von symptomatischer Bedeutung. Wir sprachen ja schon von der Bedeutung derjenigen musiksoziologischen Form, die jene Bewegung hervorgebracht hat, von jener veränderten Art der Bezogenheit von Ausführenden untereinander und von Hörern zueinander. Bei der Gelegenheit erfuhren wir aber auch schon, wie begrenzt die Auswirkungen waren, insbesondere in Hinsicht auf das Menschentum, das hierdurch erfaßt werden konnte. Auch die Gründe dieses verhältnismäßig geringen Erfolges lernten wir kennen. Sie liegen ja nicht zuletzt hierin: Rhythmus, Kontrapunktik und Klangfarbe der vorgetragenen Werke entsprechen einer vergangenen Zeit, die in ganz anderer Weise Ruhe und Beschaulichkeit aufwies, und sie sind nicht zuletzt deshalb dem Gros der Heutigen fremd. Es wird aber nicht nur ganz anders werden, sondern es ist tatsächlich schon weitgehendenmaßes eine entsprechende Veränderung eingetreten, seitdem beide zueinander zu stoßen begonnen haben: jene neue musiksoziologische Gestaltung, die die Jugendbewegung verwirklicht hatte und der es nur an dem entsprechenden Inhalte fehlte, einerseits, und die neue Klanglichkeit und Rhythmik andererseits. Seitdem es aber geschehen ist, ist auch die Möglichkeit Wirklichkeit geworden: Die Aufführung von neuesten Werken, die aber keine Virtuosenhaften Schwierigkeiten enthalten und deshalb von Dilettanten gespielt werden können, die miteinander verbunden sind, wird schon von größeren Massen, die es sich anhören, als ihre eigene Angelegenheit erlebt. Hiermit sind aber diejenigen Ausstrahlungen aus der Jugendbewegung noch nicht erschöpft, die für uns wesentlich sind. Vielmehr ist sie auch noch in einer andern Hinsicht bedeutsam geworden. Und zwar handelt es sich um die Gestaltung der vierten und letzten Form neuer musikbezogener Kunst.


Auch hier liegen die Dinge, historisch gesehen, nicht wesentlich anders als bei der älteren Gestaltung jugendbewegt-musikalischen Tuns. Ihre Form und ihre Bedingtheit, die Grenzen ihres Ausdrucks und die Ursachen der Erscheinung, zugleich aber auch ihre wegbahnende Bedeutung — dies alles wurde uns klar. Und genau so verhält es sich auch mit Körper und Körperbezogenheit. Der Rhythmus der wiederentdeckten alten Volkstänze ist nicht die Form, die den heutigen entspricht.


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