- 9 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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es bei der Betrachtung der problematischen Beziehungen von Kunst und Technik in erster Linie an. Es könnte zu verhängnisvollen Fehlschlüssen führen, wollten wir uns nur von der verwirrenden Fülle der äußeren Erscheinungen, statt von der inneren philosophischen Einsicht leiten lassen. Es gibt eine innere Gemeinsamkeit der Begriffe Kunst und Technik, die aber nur dann gedanklichen und praktischen Wert für uns erhält, wenn uns die Gegensätze bewußt sind. Die innere Gemeinsamkeit werden wir erkennen, wenn wir in dem Streben nach Klarheit und Objektivität die Keime beider Begriffe aufsuchen. Kunst und Technik haben die “Vorstellung” zur Voraussetzung. Denken wir bei der Kunst nicht an die Erscheinung gewordene Materie, nicht an das fertige Werk, sondern an das, was vor ihm liegt, an die Entstehung, das Werden des Kunstwerkes. Der schaffende Künstler gewinnt durch die Vorstellung ein inneres Bild, ein inneres Gesicht von dem künftigen Werk. Wir pflegen diesen Werdensprozeß den Einfall, die Konzeption, die Intuition zu nennen. Nur hier im Einfall, der im Menschen durch eine ganz besonders geartete Macht der Vorstellung vor sich geht, ist die Kunst rein. Mit dem Moment, wo diese innere Schau begrifflich klargelegt, durchdacht wird, tritt der Prozeß aus der reinen Kunstsphäre in die Welt des Verstandesmäßigen, Begrifflichen. Es setzt der Einfluß der Technik, der Technik der Komposition, des Instruments, der Wiedergabe ein. Wie oft mag es geschehen, daß ein musikalischer Einfall während der Niederschrift alles das verliert, was ihm im Keim, in der ersten visionären Vorstellung, als innerster, eigentlichster Wert anhaftete.


Auch die Technik hat die “Vorstellung” zur Voraussetzung; das ist die innere gemeinsame Basis von Kunst und Technik. Aber sosehr in der Kunst der Einfall alles ist, so wenig bedeutet er der Technik. Das innere Schauen führt in der Technik nur zu Phantastereien. Die Gesichte, die Jules Verne hatte, sie haben für die Technik nichts zu bedeuten. In der Technik entscheidet nur die Tat, die Ausführung. Erkenntnis, verstandesmäßige Durchdringung der Materie ist notwendig, um eine technische Leistung zu offenbaren. Bei der Kunst handelt es sich um einen Schaffensprozeß, bei der Technik um einen Erfindensprozeß. Die Grundlage, die Vorstellung, ist gleich, die Gestaltung aber verschieden. Der Künstler als Techniker und der Techniker als Künstler, sie sind trotz dieser Aneinanderkettung der Begriffe nicht dasselbe. Dem Künstler bedeutet Technik immer etwas ganz anderes als dem


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