- 10 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Techniker. Und für den Techniker ist Kunst etwas anderes als für den Künstler. Der Techniker sieht die Kunst notwendigerweise mit den Augen des Erfinders, also begrifflich, verstandesmäßig. Der Künstler betrachtet die Technik notwendigerweise mit den Augen des Schaffenden, also intuitiv, gefühlsmäßig. Diesen Zwiespalt werden wir nicht aufheben, auch nicht im “Zeitalter der Technik”. Aber es ist ein Glück gerade unserer Zeit, diese Problematik sichtbar und hörbar zu erleben, den Prozessen in den verschiedensten Gestalten beizuwohnen. Wir dürfen uns nicht nur mit einer Warnung vor oberflächlicher Vermengung der Begriffe begnügen, wir müssen auch im Interesse der künstlerischen Entwicklung vor einer Überschätzung der Technisierung warnen. Im Bereich der Kunst regiert der schöpferische Einfall, das zutiefst Menschliche. Der technische Prozeß, so vollkommen und imponierend er auch sein möge, hat für die Kunst immer nur akzessorische Bedeutung. Die Kunst kann nicht deshalb plötzlich eine Ehe mit der Technik schließen, weil in unserer Zeit erstaunliche Erfindungen auf technischem Gebiet gemacht wurden. Es ist gewiß notwendig, an diesen technischen Errungenschaften teilzuhaben, aber nur so weit, wie die rein künstlerische Sphäre nicht ernsthaft gefährdet wird. Das Menschliche, das Göttliche, wie immer wir es nennen mögen, werden wir immer nur durch die Kunst erleben können, nicht aber durch die Technik.


Den Wandel des technischen Prozesses kann die Kunst nicht aufhalten; das ist gewiß. Wie sich heute auf ökonomischem, politischem und gesellschaftlichem Gebiete eine unerhörte Umwälzung vollzieht, so auch auf künstlerischem. Diesen Wandel beschleunigt und verstärkt die Technik. Die Technik besitzt also nicht nur akzessorische Bedeutung für die Kunst, sondern auch transformatorische. Sie transformiert den ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Einfluß auf die Kunst. Der eigentliche Vollstrecker dieses Einflusses, der Umbildner schlechthin, ist für die Kunst die Technik. Denn ewig gültig ist auch die künstlerische Erscheinung nicht. Die Kunstwerke, wie sie in Stein, Farbe, Ton Wirklichkeit geworden sind, sie unterliegen dem technischen Verfall in der Zeit. Es ist fast so, als ob das gestaltete Kunstwerk, als ob geprägte Form zurückfalle in das Nichts, in jenes Reich, wo nichts anderes mehr Gültigkeit hat als der reine Einfall. Die Form stirbt, aus dem Kern des Einfalls aber wird neuer Einfall und neues Kunstwerk. Diesen ewigen Kreislauf Einfall—Werk—Zerfall—Einfall begleitet der technische Prozeß als eigentliche Triebfeder. So könnte man auch sagen:


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