- 73 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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gegenüber, Handwerk und Mittelstand sterben hin; das Bauerntum wird in Weltwirtschaft, westeuropäische Organisationsform und städtische Mentalität einbezogen und verliert, nachdem es noch einmal durch den Mund des Rembrandtdeutschen und weniger Geistesverwandter wie Paul de Lagarde und Eduard Hahn seine Stimme erhoben hat, seine Eigenkultur ebenso wie alles “Volkhafte” endgültig. In diesem Zusammenhange verschwindet der geschilderte Typ der Haustochter und Ehefrau. An ihre Stelle tritt die Berufstätige. Sie teilt mit dem männlichen Partner die neue Sexualmoral und Rationalisiertheit, Ermüdung und Nervenüberreiztheit nach erledigter taylorisierter Arbeit. Beide haben dementsprechend keine innere Beziehung zum Lebensrhythmus, der in Werken vergangener Kunstepochen widerklingt, sowie zum Ideal weiblicher Unberührtheit vor der Ehe, wie sie in klassischer und romantischer Tragödie und Oper vorherrscht. Dies Geschlecht interessiert sich vielmehr einerseits für das Erringen einer besseren Lage durch den Zweckverband der Gewerkschaften. Gegebenenfalls lebt es auch in der Spannung, die durch die Zugehörigkeit zu verbotenen Verbänden bedingt ist, wie Rotfront, Stahlhelm und Organisationen unterdrückter nationaler Minoritäten. Auf der andern Seite sucht es seine Pause und seinen Feiertag derart auszufüllen, daß es in schnellster Aufeinanderfolge grelle Reize auf sich wirken läßt. Dementsprechend stehen die Opernhäuser leer, und sie können bei ihren ins ungeheure gestiegenen finanziellen Ansprüchen nur noch durch kolossale Zuschüsse aus städtischen Mitteln aufrechterhalten bleiben, und dies in derselben Zeit, in der man bei andern Kulturinstituten spart. Beides geschieht hauptsächlich aus Rücksicht auf den Fremdenverkehr und aus Prestigepolitik. Die Großstädte sehen sich nämlich veranlaßt, eine solche zu treiben und dies auch noch aus folgendem Grunde: In täglich zunehmendem Maße wird der Staat abgebaut, und zwar nach oben hin zugunsten überstaatlicher Organisationen, wie auch nach unten hin. In diesem Zusammenhange werden nicht zuletzt die Kommunen zu ausschlaggebenden Machtfaktoren. Infolgedessen rivalisieren sie miteinander. Sie tun es vorzüglich, indem sie weithin auffallende Kulturinstitute fördern. Dabei bevorzugen sie naturgemäß solche, die wegen nachwirkender Traditionen von den sogenannten Gebildeten als besonders wertvoll angesehen werden, wie beispielsweise Universitäten oder eben die Theater. Neben alle dem existiert dann noch der kleinbürgerliche Gesangverein weiter. Auch diese Schicht


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