- 71 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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von Ausführenden und Allgemeinheit ist schon seit der Renaissance, insbesondere aber seit der Gegenreform nicht mehr da. Die Kunst überhaupt und besonders die Musik ist nicht mehr wie noch bei Primitiven, wie auch noch das Epos wandernder Viehzüchter und wie die kultischen Spiele Indiens und des europäischen Mittelalters Angelegenheit aller, die in einer Gegend wohnen und durch die Gemeinsamkeit der Weltanschauung zusammengehalten sind, sondern Sache bevorrechtigter Schichten. Hiermit aber haben wir ein weiteres wesentliches Moment berührt, nämlich die Frage der Trägerschaft der Musikkultur. Sie ihrerseits wird uns zur Betrachtung der veränderten gesellschaftlichen Stellung der Künstler überleiten. Beides aber hängt wiederum aufs engste zusammen mit der Lösung jener an vierter Stelle genannten alten Einheit, derjenigen von Ausführenden und Gesamtheit. Der Betrachtung der Schichten, die sich als Träger des Musiklebens erweisen, wenden wir uns nunmehr dementsprechend im zweiten Unterabschnitt unseres zweiten Hauptteiles zu.


2. Als Träger der Musikkultur war an Stelle der Kirche oder einer Adelsburg, die aber in das kirchlich geleitete Gesamtleben eingeordnet war, mit der Neuzeit die fürstliche Residenz oder aber der bischöfliche Palast getreten. Auch letzterer aber stellte einen Teil eines Apparates dar, der seit der Gegenreformation erst recht staatsähnlich geworden war. Oder aber es handelte sich um die protestantische Kirche. Vielleicht in noch stärkerem Maße war sie Staatsinstrument geworden. An diesen drei Orten spielt sich im wesentlichen die Musik des Barock, des Rokoko und des Klassizismus ab. Schon vor der Entstehung des letzteren beginnt das geldwirtschaftlich produzierende Bürgertum das Erbe anzutreten, und zwar in verschiedener Hinsicht, vorzüglich in musikalischer Beziehung. Das kann es besonders auch deshalb, weil es im wesentlichen in die Fortsetzung jener Linie eingebettet ist, die von der Renaissance über die Gegenreformation verläuft. Insbesondere kann man die erste durchgebildete Ideologie dieser Schicht die Aufklärung als säkularisierten Jesuitismus bezeichnen. Zudem erweist sich auch hier der Satz als richtig: Jede Gruppe, die emporsteigt und dementsprechend gegen eine andere privilegierte Gruppe angeht, tut letzteres lediglich in der Form einer Nachahmung von Haltungen und Lebensäußerungen ihres Feindes.


Die musikalischen Ausdrucksformen solcher Sachverhalte sind nun aber diese: Die zunehmende Spezialisierung im Beruf und die hiermit


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