- 68 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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der Verbindung von Wort und Ton, schreitet die Entwicklung schnell weiter. Dieser Vorgang aber spielt sich folgendermaßen ab: Diese Welt der seßhaft gewordenen Viehzüchter und der Staatlichkeit bringt insbesondere in Europa, wo sich dieser Prozeß am ungehemmtesten abspielen kann, auch jene Elemente zur besonderen Entfaltung, die wir schon bei den Vorgängern, den Nomaden, antrafen; wir meinen Begrifflichkeit, Abstraktion und Rationalität. Gleichzeitig hiermit erhält nun aber auch das gesprochene Wort eine andere Bedeutung. Es hat nicht mehr magische Funktion, wie in der mutterrechtlichen Frühzeit und wie beispielsweise noch in den Reden Buddhas. In dieser Welt der Organisation und des Beamtentums dient es der Darlegung des verstandesmäßig Erfaßten und wird in einer neueren Ausgestaltung dieser entmagisierten Welt, im Protestantismus, als Predigt Mittelpunkt des Kultus. Vor allem wird es das Instrument der Wissenschaft. Sie aber unterscheidet sich scharf von jeder früheren und insbesondere von der mittelalterlichen Scholastik. Was Wunder also, wenn sich dies unmagische Wort so wie von allem, so auch von der Musik loslöst. So ist denn die Atmosphäre geschaffen, innerhalb deren sich die Tonkunst, die sich vorher vom Körper gelöst hatte, nun auch vom Wort trennen kann. So kommt es zur endgültigen Scheidung der sämtlichen drei Elemente, deren Beieinandersein uns früher als eine unter den vier Verknüpfungsformen auffiel, durch die sich die Anfänge der Musik von der gegenwärtigen unterscheiden. Dieser Prozeß aber spielt sich in einer Weise, die bis auf die Gegenwart nachwirkt, insbesondere in der Gegenreformation ab.


Das für uns Entscheidende ist hierbei aber dies: Die Kirche hatte schon im ausgehenden Mittelalter ihre allbeherrschende Stellung eingebüßt. Dieser Sachlage gegenüber bedeutete nun zwar die Reformation als Gegenschlag gegen die italienische Renaissance eine Erneuerung einer kirchlich geleiteten Gebundenheitskultur. Andererseits hatte aber die katholische Kirche ganze Länder endgültig verloren und war auch innerhalb der Völker, die ihr treu geblieben waren, durch nachwirkende Mentalität des ausgehenden Mittelalters bei den Intellektuellen und durch das Staatskirchentum bei den Machthabern aus ihrer gesellschaftsbestimmenden Stellung verdrängt worden. All den Abtrünnigen da draußen und den Unzuverlässigen im Innern gegenüber wendet die Kirche nun aber ein besonderes Verfahren an. Im ausgehenden Mittelalter hatten die innerkirchlichen Gegner, um sie


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