- 67 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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im allgemeinen, so auch der Musik insbesondere. Denn der Körper wird in dieser männlich-militärischen Welt im wesentlichen ein Mittel zum Zweck der Staatsbehauptung, im Dienst des Krieges. Auf dies Ziel hin wird er vornehmlich geschult, aber nicht mehr ausschließlich oder auch nur in erster Linie, um in dem kultischen Gesamtkunstwerk verwandt zu werden.


Ein weiteres Moment beschleunigt diesen Prozeß. Innerhalb dieser Welt der Staatlichkeit spielt sich auch die Geschichte des Christentums ab. Das aber ist diejenige Religion, die innerhalb mehrerer Jahrhunderte direkt, und noch bis in die Gegenwart hinein indirekt, recht eigentlich die Erziehung der europäischen Völker besorgt hat. Es ist ja auch, wenigstens was die eine Wurzel seiner Herkunft anlangt, aus dem Judentum hervorgegangen, aus einem Lebenskreise also, der in besonders ausgesprochenem Maße jene Züge aufweist, die für die seßhaft gewordenen Viehzüchter charakteristisch sind, von denen wir sprachen. Gewiß ist es nicht die Stätte, an der die Körperfeindlichkeit entstanden ist. Vielmehr muß man Indien als solche ansehen. In der Folge wirken aber eine ganze Anzahl von Ursachen zusammen, insbesondere auch noch der aszetische Geist der todmüden und absterbenden antiken Welt, um diese Seite in ganz besonders starkem Maße zur Ausgestaltung gelangen zu lassen. Und so steht denn auch das Christentum als eine der ganz wenigen Religionen in der Weltgeschichte da, die, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, keinen kultischen Tanz aufweisen. Darauf hat insbesondere Max Weber hingewiesen.


Die Situation in der staatlichen und christlichen Welt ist also diese:

Der Körper ist im wesentlichen für die militärischen Zwecke mit Beschlag belegt, anderseits von der Verwendung als Ausdrucksmittel im kirchlichen Kult ausgeschlossen. Innerhalb der letztgenannten Sphäre ist aber die Klangkunst als solche anerkannt. Aus alledem ergibt sich nun aber naturgemäß als erste unter den zwei Folgeerscheinungen auf dem Gebiete der Kunst, die für uns wesentlich sind, diese: neben einer musikfreien Körperlichkeit im begrenzten Rahmen der Kriegsbereitschaftssphäre entwickelt sich nun auch eine körperfreie Musik, und hiermit ist die erste unter den vier Verknüpfungen, die wir bei den Primitiven antrafen, aufgelöst. Zum wenigsten nach der einen Seite hin.


Aber auch in einer andern Hinsicht, nämlich in bezug auf die Lockerung


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