- 66 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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zu haben. Dementsprechend fällt man chorisch und tanzend ein, wenn jene geredet und Bewegungen ausgeführt haben, und begleitet alles durch Instrumente, die als Ergänzung und Unterstreichung dienen und deshalb primär nicht etwa melodische, sondern rhythmische Funktionen auszuüben haben. Entsprechendes, wenn auch nicht so durchgebildet und so positiv folgenschwer, treffen wir bei vaterrechtlichen höheren Jägern an. In besonderer Beziehung stehen sie zu einer Tiergattung, ihrem Totem. Sie jagen und verzehren es nicht. Im kultischen Tanz nimmt man gleichfalls dessen Gestalt an. Beide Kulturkreise sind in der afrikanischen, indianischen und ozeanischen Gegenwart, wie in der europäischen Frühzeit anzutreffen. Insbesondere der erstgenannte wirkt aber noch weit in die klassische Zeit des Griechentums nach, vor allem in Gestalt der orphischen, dionysischen und Eleusinischen Mysterien.


Wie schon gesagt, stehen wir hier bei den Ausgangspunkten alles dessen, was wir als Schauspiel, Tonkunst und Körperrhythmus bezeichnen. Und doch wird uns der Wesensunterschied zwischen damals und heute sofort auffallen. Insbesondere treffen wir in den geschilderten fernen Welten statt heutiger Getrenntheiten folgende vier Verknüpfungen: Von Körperrhythmus, Wort und Klang, von lebensbestimmender Weltanschauung und Inhalt des Stücks, von Kunst und Religion, indem Gesang und Bewegung Ausdruck und Symbol der magischen Grundhaltung sind, von Ausführenden und Gesamtheit.


Aus dieser Welt aber, und zwar gerade aus demjenigen Kreise innerhalb ihrer, den wir als den am schwächsten durchgebildeten und am wenigsten positiv folgereichen hinstellten, erwuchs nun aber auch der Gegenschlag, der gleichfalls bis in die Gegenwart hinein bestimmend nachwirkt. Denn aus dem Kult eines heiligen Totemtieres, das man weder jagt noch verzehrt, entwickelt sich auf religiös-magischem Wege die Viehzucht und hiermit neues Nomadentum sowie einerseits Vorherrschen von Organisation, Berechnung, Zweckmäßigkeit und männlichen Führereigenschaften und andererseits Zurücktreten von weiblicher Intuition magischer Einstellung und Kunst. Derartige Stämme setzen sich nun aber als Eroberer über jene seßhaften Bodenbebauer oder über eine Kreuzung aus ihnen und aus totemistischen Jägern, nämlich über mutterrechtliche Totemisten. Zur Sicherung ihrer Macht gründen sie den Staat. Er aber wird nun für Jahrhunderte ausschlaggebend. Er nur bestimmt Form und Grenzen, wie der Kunst


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