- 59 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (58)Nächste Seite (60) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Ernst Cassirer: Form und Technik


Bild der Zeit, im Spiegel der Technik aufgefangen, dar. “Betrachtet man...die Produktion der Welt, so zeigt ein furchtbares Erschrecken uns den Irrsinn der Wirtschaft. Überflüssiges, Nichtiges, Schädliches, Verächtliches wird in unsern Magazinen gehäuft, unnützer Modetand, der wenige Tage falschen Glanz spenden soll, Mittel für Rausch, Reiz und Betäubung...Alle diese Nichtsnutzigkeiten füllen Läden und Speicher in vierteljährlicher Erneuerung. Ihre Herstellung, ihr Transport und Verschleiß erfordert die Arbeit von Millionen Händen, fordert Rohstoffe, Kohlen, Maschinen, Fabrikanlagen und hält annähernd den dritten Teil der Weltindustrie und des Welthandels in Atem.” So ist die moderne Technik und die Wirtschaft, die sie aus sich heraus geschaffen hat und die sie mit ihren Mitteln aufrechthält, das eigentliche Faß der Danaiden. Unwillkürlich drängt sich, wenn man Rathenaus Schilderungen liest, dieses Bild auf, das schon Platon im Gorgias gebraucht hat, um mit ihm die Leerheit und den Widersinn jeglicher, mit rein hedonistischen Maßen messenden Ethik zu bezeichnen. Jedes gestillte Bedürfnis dient nur dazu, in gesteigertem Maße neue Bedürfnisse hervorzutreiben  – und aus diesem Kreislauf ist für den, der einmal in ihn eingegangen ist, kein Entrinnen. Noch unerbittlicher als das Triebwerk der Arbeit hält den Menschen das Triebwerk fest, in das er durch die Ergebnisse und Erträgnisse der technischen Kultur hineingestellt wird, und in dem er, in einem niemals endenden Taumel, von Begierde zu Genuß, von Genuß zu Begierde geworfen wird.


Von dem harten Verdikt, das hier über die Technik gefällt wird, läßt sich, solange man im Umkreis ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Folgen und Wirkungen, stehenbleibt, nichts abdingen. Nur eine Frage kann noch gestellt werden, ob diese Wirkungen notwendig mit ihrem Wesen gesetzt, ob sie in dem gestaltenden Prinzip der Technik selbst beschlossen und durch dasselbe gefordert sind. Und sobald das Problem in diesem Sinne genommen wird, ergibt sich alsbald ein durchaus anderer Aspekt der Betrachtung und Beurteilung. Rathenau selbst läßt keinen Zweifel daran, daß all die Mängel und Schäden der modernen technischen Kultur, die er unerbittlich aufdeckt, nicht sowohl aus ihr selbst, als vielmehr aus ihrer Verbindung mit einer bestimmten Wirtschaftsform und Wirtschaftsordnung zu verstehen sind – und daß demnach jeder Versuch der Besserung an dieser Stelle den Hebel anzusetzen hat. Diese Verbindung stammt nicht aus dem Geiste der


Erste Seite (1) Vorherige Seite (58)Nächste Seite (60) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 59 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik