Ernst Cassirer: Form und Technik
eine ethische Schönheit, eine Schönheit der Erkenntnisse und eine Schönheit der Sitten und Bestrebungen. Um von diesem allumfassenden Formbegriff die besondere Region des künstlerischen Schaffens zu erreichen, dazu bedarf es einer wesentlichen Einschränkung und einer spezifischen Bestimmung. Diese ergibt sich aus jenem eigentümlichen Verhältnis, in dem alle künstlerische Schönheit zum Grund- und Urphänomen des Ausdrucks steht. Das Kunstwerk läßt in einer durchaus eigenartigen, ihm allein vorbehaltenen Weise Gestalt und Ausdruck ineinander übergehen. Es ist eine Schöpfung, die hinausgreift in das Reich des Objektiven und die eine streng objektive Gesetzlichkeit vor uns hinstellt. Aber eben dieses Objektive ist an keiner Stelle ein bloß Äußeres, sondern es ist die Äußerung eines Inneren, das an ihm gewissermaßen seine Transparenz gewinnt. Die dichterische, die malerische oder plastische Form sind in ihrer höchsten Vollendung, in ihrer reinen Ablösung vom Ich, noch immer durchflutet von der reinen Ichbewegung. Der Rhythmus dieser Bewegung lebt in geheimnisvoller Weise in der Form weiter und spricht uns unmittelbar in ihr an. Der Umriß der Gestalt weist hier immer wieder zurück auf einen bestimmten Zug der Seele, die sich in ihr manifestiert; und er ist zuletzt nur aus dem Ganzen dieser Seele, aus jener Totalität, die in jeglicher echten künstlerischen Individualität beschlossen ist, verständlich zu machen. Solche Ganzheit und solche individuelle Besonderung bleibt dem technischen Werk versagt. Betrachtet man freilich den reinen Erlebnisgehalt des technischen und des künstlerischen Schaffens, so scheint sich zwischen beiden nirgends eine strenge Grenzlinie aufweisen zu lassen. An Intensität, an Fülle und leidenschaftlicher Bewegtheit steht das eine in nichts dem andern nach. Es ist keine geringere seelisch-geistige Erschütterung, wenn das Werk des Entdeckers oder Erfinders, nachdem er es Jahre und Jahrzehnte im Innern getragen hat, zum ersten Male in die Wirklichkeit durchbricht, als wenn die dichterische oder plastische Gestalt sich von ihrem Urheber loslöst und ihm als ein Gebilde eigenen Seins und eigenen Rechts gegenübertritt. Aber nachdem einmal diese Trennung sich vollzogen hat, waltet zwischen dem Schöpfer und seinem Werk in der rein technischen Sphäre ein ganz anderes Verhältnis ob als in der künstlerischen. Das vollendete, in die Wirklichkeit hinausgestellte Werk gehört fortan lediglich dieser Wirklichkeit selbst an. Es steht in einer reinen Sachwelt, deren Gesetzen es gehorcht und mit deren Maßen es gemessen
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