- 55 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (54)Nächste Seite (56) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Ernst Cassirer: Form und Technik


Formwelt und in der Entstehung der künstlerischen Form, die Übergänge sind. Abermals ist es die Renaissance, die in ihrer Ausbildung des “uomo universale”, in Geistern wie Leon Battista Alberti oder Leonardo da Vinci das große Beispiel für das stete Ineinandergreifen technischer und künstlerischer Motive aufgestellt hat. Und nichts scheint natürlicher und verlockender, als von solcher Personalunion sofort auf eine sachliche Union zu schließen. Unter den modernen Apologeten der Technik gibt es in der Tat solche, die ihrer Sache nicht besser dienen zu können glauben, als dadurch, daß sie sie mit der Sache der Kunst gleichstellen. Sie sind gewissermaßen die Romantiker der Technik: sie unternehmen es, die Technik dadurch zu begründen und zu rechtfertigen, daß sie sie mit dem ganzen Zauber der Poesie umkleiden.1) Aber alle poetischen Hymnen über die Leistungen der Technik können uns freilich der Aufgabe der Bestimmung der Differenz zwischen technischem und künstlerischem Schaffen nicht überheben. Diese Differenz tritt sogleich hervor, wenn man die Art der “Objektivierung” betrachtet, die im Künstler und im Techniker wirksam ist.


In der gegenwärtigen Literatur zur “Philosophie der Technik” begegnet man immer wieder der Frage, ob und wieweit ein technisches Werk rein ästhetischer Wirkungen fähig ist und wieweit es rein ästhetischen Normen unterliegt. Die Antworten, die auf diese Frage gegeben werden, stehen einander diametral gegenüber: die “Schönheit” wird bald als ein unveräußerliches Gut technischer Erzeugnisse behauptet und gepriesen, bald wird sie als eine “falsche Tendenz” abgewehrt. Dieser Streit, der mit großer Schärfe durchgefochten zu werden pflegt, schlichtet sich, sobald man erwägt, daß in Thesis und Antithesis der Begriff der Schönheit zumeist in ganz verschiedenem Sinne genommen wird. Faßt man die Norm des “Schönen” so weit, daß man überall dort von ihr spricht, wo ein Sieg der “Form” über den “Stoff”, der “Idee” über die “Materie” hervortritt, so kann kein Zweifel daran sein, in welch hohem Maße gerade die Technik an ihr Anteil hat. Aber diese Formschönheit schlechthin umfaßt alsdann die ganze Weite geistiger Betätigung und geistiger Gestaltung überhaupt. In diesem Sinne verstanden, gibt es — wie Platon es im Symposion ausspricht — nicht nur eine Schönheit körperlicher Bildungen, sondern auch eine logische und

__________

1) Man vgl. insbesondere den Aufsatz von Max Eyth, Poesie und Technik (a.a.O. S. 9ff.).


Erste Seite (1) Vorherige Seite (54)Nächste Seite (56) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 55 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik