- 54 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Möglichen gewissermaßen herausgezogen und in die des Wirklichen verpflanzt. Der Techniker ist hierin ein Ebenbild jenes Wirkens, das Leibniz in seiner Metaphysik dem göttlichen “Demiurgen” zuspricht, der nicht die Wesenheiten oder Möglichkeiten der Gegenstände selbst erschafft, sondern unter den vorhandenen, an sich bestehenden Möglichkeiten nur eine, und die vollkommenste, auswählt. So belehrt uns die Technik fort und fort darüber, daß der Umkreis des “Objektiven”, des durch feste und allgemeine Gesetze Bestimmten, keineswegs mit dem Umkreis des Vorhandenen, des Sinnlich-Verwirklichten zusammenfällt. l) Auch die rein-theoretische Naturwissenschaft kann freilich niemals das Wirkliche erkennen, ohne dabei beständig in das Reich des Möglichen, des Rein-Ideellen, hinauszugreifen. Aber ihr letztes Absehen scheint doch auf das Wirkliche allein gerichtet — scheint sich in der vollständigen und eindeutigen Beschreibung der tatsächlichen Vorgänge der Natur erschöpfen zu lassen. Technisches Schaffen aber bindet sich niemals an diese reine Faktizität, an das gegebene Gesicht der Gegenstände, sondern es steht unter dem Gesetz einer reinen Vorwegnahme, einer vorausschauenden Sicht, die in die Zukunft vorweggreift und eine neue Zukunft heraufführt.


Mit dem Einblick in diesen Sachverhalt aber scheint nunmehr der eigentliche Schwerpunkt der Welt der technischen “Form” sich mehr und mehr zu verschieben und vom rein theoretischen Bereich in das Gebiet der Kunst und des künstlerischen Schaffens hinüberzurücken. Wie eng sich beide Bereiche ineinander verflechten, dies bedarf in der Tat keines besonderen Erweises. Wiederum genügt ein Blick auf die allgemeine Geistesgeschichte, um uns darüber zu belehren, wie fließend hier im konkreten Werden, in der Entstehung der technischen

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1) “Das Wiedersehen eines Erfinders mit dem aus ihm herausgestellten zum ersten Male gewordenen ,Objekt'” — so sagt Dessauer scharf und prägnant in seiner “Philosophie der Technik«” (S.47) — “ist eine Begegnung von unerhörter Erlebniskraft, starker Offenbarung. Der Erfinder schaut, was aus seinem Schaffen, doch nicht allein daraus, errungen wurde, nicht an mit dem Gefühl: ich habe dich gemacht, sondern: ich habe dich gefunden. Du warst schon irgendwo, und lange mußte ich dich suchen...Daß du erst jetzt bist, kommt daher, daß ich erst jetzt fand, daß du so bist. Du konntest nicht eher erscheinen, deinen Zweck erfüllend, als bis du in meiner Schau so warst, wie du an sich warst, weil du nur so sein konntest! Nun allerdings bist du in der sichtbaren Welt. Aber ich habe dich in einer andern Welt gefunden, und so lange weigertest du dich, in das sichtbare Reich herüberzutreten, bis ich deine wirkliche Gestalt in jenem andern Reich richtig gesehen hatte.”


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