- 52 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


und zum wissenschaftlichen Forscher, wie sich ihm umgekehrt alle Forschung alsbald wieder in technische Probleme und in künstlerische Aufgaben umsetzt.l) Und es handelt sich hierbei keineswegs um eine bloß einmalige Verbindung, sondern um ein sachliches Grundverhältnis, das fortan der gesamten Wissenschaft der Renaissance die Richtung weist. Auch der eigentliche Begründer der theoretischen Dynamik, auch Galilei kommt von technischen Problemen her. Olschki hat in seiner Monographie über Galilei mit Recht den stärksten Nachdruck auf dieses Moment gelegt. “Auf diese Seite des Galileischen Schaffens und seiner wissenschaftlichen Entwicklung” – so bemerkt er – “haben die wenigsten Biographen das Augenmerk gerichtet. Aber gerade diese ursprünglichste und zäheste seiner vielseitigen Veranlagungen bildet den Schwerpunkt seines scheinbar so auseinanderstrebenden Lebenswerkes...Man muß sich die Tatsache vergegenwärtigen, daß jede Entdeckung Galileis auf dem Gebiete der Physik und der Astronomie mit irgendeinem Instrument eigener Erfindung oder besonderer Einrichtung aufs engste verknüpft ist. Sein technisches Genie ist die eigentliche Voraussetzung der wissenschaftlichen Versuche, durch welche seine theoretische Originalität erst Richtung und Ausdruck erhielt” 2). Die eigentliche Erklärung dieses Sachverhalts liegt darin, daß die theoretische und die technische Betätigung sich nicht nur äußerlich miteinander berühren, sofern sich beide an dem gleichen “Material” der Natur auswirken, sondern daß beide im Prinzip und im Kern ihrer Produktivität miteinander verwandt sind. Denn auch das Bild der Natur, das der Gedanke aus sich herausstellt, wird nicht im bloßen untätigen Schauen gewonnen, sondern es erfordert den Einsatz einer aktiven Kraft. Je mehr man sich in erkenntniskritischer Reflexion in die Ursprünge und Bedingungen dieses Bildes versenkt, um so deutlicher wird es, daß es kein bloßes Nachbild ist – daß sein Umriß nicht von der Natur einfach vorgezeichnet ist, sondern daß er aus einer selbständigen Energie des Denkens heraus gestaltet werden muß. So erweist sich schon hier der Verstand, um mit Kant zu sprechen, als der “Urheber der Natur”. Aber diese Urheberschaft nimmt eine andere Richtung an und

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1) Näheres hierüber in meiner Schrift “Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance”, Stud. der Bibl. Warburg XI, Leipzig 1927.

2) Olschki, Gesch. der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur, Bd. III: Galilei und seine Zeit, Halle 1927, S. 139f.


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