- 50 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


entnommen werden. So gefaßt aber erhält die Frage über Wert und Unwert der Technik alsbald einen andern Sinn. Sie kann nicht dadurch entschieden werden, daß man “Nutzen” und “Nachteil” der Technik erwägt und gegeneinander aufrechnet – daß man die Gücksgüter, mit denen sie die Menschheit beschenkt, dem Idyll eines vortechnischen “Naturzustandes” entgegenhält und sie, in dieser Abwägung, zu leicht befindet. Hier geht es nicht um Lust oder Unlust, um Glück oder Leid, sondern um Freiheit oder Unfreiheit. Findet sich, daß das Wachstum technischen Könnens und technischer Güter notwendig und wesentlich ein immer stärkeres Maß von Gebundenheit in sich schließt, daß es die Menschheit, statt ein Vehikel zu ihrer Selbstbefreiung zu sein, mehr und mehr in Zwang und Sklaverei verstrickt: so ist der Stab über die Technik gebrochen. Zeigt sich umgekehrt, daß es die Idee der Freiheit selbst ist, die ihr die Richtung weist und die dazu berufen ist, in ihr zuletzt zum Durchbruch zu kommen, so kam die Bedeutung dieses Zieles nicht dadurch geschmälert werden, daß man auf die Leiden und Mühen des Weges hinblickt. Denn der Weg des Geistes steht hier wie überall unter dem Gesetz der Entsagung: unter dem Gebot eines heroischen Willens, der weiß, daß er sein Ziel nur dadurch zu erreichen, ja daß er es nur dadurch aufzustellen vermag, daß er auf alles naiv-triebhafte Glücksverlangen verzichtet.


IV


Der Konflikt, der zwischen dem Glücksverlangen des Menschen und den Forderungen entsteht, unter die der technische Geist und der technische Wille ihn stellt, aber ist keineswegs der einzige und der schärfste Gegensatz, der sich hier aufrichtet. Tiefer und bedrohlicher tritt der Widerstreit hervor, wenn er sich in das Gebiet der Kulturformen selbst fortsetzt. Die wahre Kampffront zeigt sich erst dort, wo nicht mehr lediglich die Mittelbarkeit des Geistes mit der Unmittelbarkeit des Lebens streitet, sondern wo statt dessen die Aufgaben des Geistes selber, indem sie sich immer feiner differenzieren, sich zugleich einander mehr und mehr entfremden. Denn jetzt ist es nicht allein die organische Einheit des Daseins, sondern es ist die Einheit der “Idee”, die Einheit der Zielrichtung und der Zielsetzung, die durch


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