- 49 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


eigenstes persönliches Tun an. Je weiter indes die Technik fortschreitet und je mehr sich in ihr das Gesetz der “Emanzipation von der organischen Schranke” auswirkt, um so mehr lockert sich diese ursprüngliche Einheit, bis sie zuletzt völlig zerbricht. Der Zusammenhang von Arbeit und Werk hört auf, ein in irgendeiner Weise erlebbarer Zusammenhang zu sein. Denn das Ende des Werks, sein eigentliches Telos, ist jetzt der Maschine anheimgegeben, während der Mensch, im Ganzen des Arbeitsprozesses, zu einem schlechthin Unselbständigen wird – zu einem Teilstück, das sich mehr und mehr in ein bloßes Bruchstück verwandelt. Simmel sieht den eigentlichen Grund für das, was er die “Tragödie der modernen Kultur” nennt, in dem Umstand, daß alle schöpferische Kultur in zunehmendem Maße bestimmte Sachordnungen aus sich herausstellt, die in ihrem objektiven Sein und So-Sein der Welt des Ich gegenübertreten. Das Ich, die freie Subjektivität, hat diese Sachordnungen geschaffen; aber es weiß sie nicht mehr zu umspannen und nicht mehr mit sich selbst zu durchdringen. Die Bewegung des Ich bricht sich an seinen eigenen Schöpfungen; sein ursprünglicher Lebensstrom verebbt, je größer der Umfang und je stärker die Macht dieser Schöpfungen wird. Nirgends vielleicht tritt dieser tragische Einschlag aller Kulturentwicklung mit so unerbittlicher Deutlichkeit hervor als in der Entwicklung, die die moderne Technik genommen hat. Aber diejenigen, die sich auf Grund dieses Tatbestandes von ihr abwenden, pflegen zu vergessen, daß in das Verdammungsurteil, das sie über die Technik fällen, folgerecht die gesamte geistige Kultur mit einbezogen werden müßte. Die Technik hat diesen Tatbestand nicht geschaffen, sondern sie stellt ihn nur an einem besonders markanten Beispiel eindringlich vor uns hin; sie ist, sofern man hier von Leiden und Krankheit spricht, nicht der Grund des Leidens, sondern nur eine Erscheinung, ein Symptom desselben. Nicht ein einzelnes Gebiet der Kultur, sondern ihre Funktion, nicht ein besonderer Weg, den sie geht, sondern die allgemeine Richtung, die sie einschlägt, ist hier das Entscheidende. So darf die Technik zum mindesten das eine beanspruchen, daß man die Klage, die man wider sie erhebt, nicht vor einem falschen Richterstuhl anhängig macht. Die Maße, mit denen sie allein gemessen werden kann, können zuletzt keine andern als die Maße des Geistes, nicht die des bloßen organischen Lebens sein: das Gesetz, das man auf sie anwendet, muß dem Ganzen der geistigen Formenwelt, nicht der bloß-vitalen Sphäre


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