- 47 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


die “Nähe zur Natur” noch durchgängig festzuhalten. Sie gibt sich dem direkten sinnlichen Eindruck der Dinge hin und strebt danach, ihn im Klang, im Lautbild nach Möglichkeit festzuhalten und gewissermaßen auszuschöpfen. Aber je weiter sie sodann auf ihrem Wege fortschreitet, um so mehr sagt sie sich von dieser unmittelbaren Gebundenheit los. Sie verläßt den Weg des onomatopoetischen Ausdrucks; sie ringt sich von der bloßen Lautmetapher los, um zum reinen Symbol zu werden. Und damit erst hat sie die ihr eigentümliche geistige Gestalt gefunden und festgestellt; ist die in ihr schlummernde Leistung zum wahrhaften Durchbruch gelangt.1)


So untersteht auch hier der Gang der Technik einer allgemeineren Norm, die die Gesamtheit der Kulturentwicklung beherrscht. Aber der Übergang zu dieser Norm kann sich freilich, hier sowenig wie in den andern Gebieten, ohne Kampf und ohne schärfsten Widerstreit vollziehen. Indem der Mensch das Wagnis unternimmt, sich von der Vormundschaft der Natur loszusprechen und sich rein auf sich selbst, auf das eigene Wollen und Denken, zu stellen, hat er damit auch all den Wohltaten, die die unmittelbare Nähe zur Natur in sich schloß, entsagt. Und einmal zerschnitten kann sich das Band, das ihn mit ihr verband, nie wieder in der alten Weise knüpfen. In dem Augenblick, in dem sich der Mensch dem harten Gesetz der technischen Arbeit verschrieben hat, sinkt eine Fülle des unmittelbaren und unbefangenen Glücks, mit dem ihn das organische Dasein und die rein organische Tätigkeit beschenkte, für immer dahin. Zwar scheint es auf den ersten und primitivsten Stufen, als bestehe zwischen den beiden Formen des Wirkens noch ein naher Zusammenhang, als finde zwischen ihnen ein ständiger, fast unvermerkter Übergang statt. Karl Bücher hat in seiner Schrift über “Arbeit und Rhythmus” dargelegt, wie die einfachsten Arbeiten, die die Menschheit leistet, noch aufs nächste verbunden und verschwistert sind mit gewissen Urformen der rhythmischen Bewegung des eigenen Körpers.2) Sie erscheinen als die einfache Fortsetzung dieser Bewegungen; sie sind nicht sowohl von einer bestimmten Vorstellung eines äußerlichen Zieles geleitet, als sie vielmehr von innen motiviert und determiniert sind. Nicht ein zweckbewußter Wille, sondern ein reiner Ausdruckstrieb und eine naive

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1) Näheres hierüber s. in meiner Philosophie der symbol. Formen, Bd. I: Die Sprache, S. 132ff.

2) Karl Bücher, Arbeit und Rhythmus, 2. Aufl., Leipzig 1899, bes.S. 24ff.


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